Hamburg, Betahaus im Februar 2016. Ich treffe mich mit Jörg Jelden, den ich seit vielen Jahren kenne. Zunächst als Trendforscher, der gemeinsam mit den Agenturen, in denen ich gearbeitet habe, Zukunftsstudien entworfen hat. Zum Beispiel zur Digitalisierung des Fernsehens oder zur kreativen Nutzung von Daten in der Kommunikation. Jörg hat eine Nase dafür, Dinge zu erkennen, die 2-3 Jahre später zum Mainstream werden.
Zusammen mit Dirk Bathen und Valentin Heyde konzentriert sich Jörg nun auf moderative Methoden, die dazu geeignet sind Veränderungen voranzubringen. Das können Strategietagungen sein, Innovationsworkshops oder Team-Offsites. Während die S-Bahnen an uns vorbeiziehen sprechen wir darüber, warum es so schwer ist, Veränderungen in Unternehmen erfolgreich zu gestalten.

Jörg, was begeistert dich persönlich an Veränderungen?

Das Urmotiv ist sicherlich „Eine andere Welt ist möglich“. Mit diesem Motiv habe ich mich über verschiedene Wege beschäftigt: Die Trend- und Zukunftsforschung war z.B. gut, Veränderungen zu erkennen und zu benennen, die bei anderen stattfinden. Als Trend- und Zukunftsforscher war man aber nicht derjenige, der dann auch die Umsetzung begleitet hat. Heute versuche ich, Unternehmen in Bewegung und ins Handeln zu bringen. Wir sind also sehr viel näher dran, als das früher der Fall war.

Merkt man heute, dass die Abstände zwischen dem Auftreten einer Veränderung und dem Eintreffen im Unternehmen kürzer werden? Dass der Druck, Veränderungen umzusetzen, stärker wird?

Nein, das würde ich nicht generell sagen. Es gibt natürlich Themen wie Digitalisierung, die inzwischen in der Chefetage angekommen sind. Aber das hat ja auch lange genug gedauert. Dass Veränderungen anfangs nicht ernst genommen werden, beschreibt Clayton Christensen in seinem Buch „The Innovator´s Dilemma“ eindrucksvoll. Dinge, die man nicht kennt oder nicht versteht, stuft man als nicht so gefährlich ein. Trends werden am Anfang wahnsinnig überschätzt und nach hinten raus unterschätzt.

Aber ist Veränderung durch neue technologische Werkzeuge heute nicht viel schneller umsetzbar (Stichwort Prototyping, 3D-Druck)?

Das stimmt, aber nur weil am Rande der Organisation experimentiert wird, bedeutet das nicht, dass sich im Innern etwas ändert. Es dauert häufig relativ lange, bis diese Experimente zu Entscheidungen an der Spitze oder in der Organisation führen. Das muss nicht schlecht sein. Veränderung ist ja kein Selbstzweck und wenn es zu schnell geht, steigen die Leute aus. Es gibt dieses Zonenmodell mit der Komfortzone, der Lernzone und der Panikzone. Wenn es zu schnell von der einen in die andere Zone geht, setzen die üblichen Reaktanzen ein: „Das wollen wir doch mal sehen…“, „Aber nicht mit mir“, „Macht das mal ohne mich“.

Liegt das vielleicht auch daran, dass viele Mitarbeiter in großen Unternehmen schon „changemüde“ sind? Mitarbeiter erleben Veränderungsprozesse ja oft als Restrukturierung, als Management-Programm mit einem schönen Namen, das meistens Prozesse oder Unternehmensorganisation verändert aber selten fragt, wo wollen wir in 20 Jahren als Marke stehen, mit welchen Produkten und Dienstleistungen wollen wir am Start sein?

Das stimmt. Das liegt auch daran, dass das Innovations-Ticket meist in einem anderen Silo liegt. Change ist meist HR-nah aufgehängt und Innovation liegt eher bei Marketing, Strategie, R&D oder einer Stabsstelle.

Prof. Peter Kruse hat oft gesagt „Eine Grippe dauert 14 Tage. Mit Arzt zwei Wochen.“ Fast täglich werden Veränderungsprozesse angestoßen, aber zu selten ändert sich dann auch wirklich etwas nachhaltig.

Auch das ist richtig. Spannend wird es, wenn man mit sehr jungen Firmen arbeitet. Wir hatten letztens ein Unternehmen, die Mehrzahl der Mitarbeiter war unter 30, alle hochmotiviert. Von denen hat noch keiner in den Abgrund geguckt und schon drei frustrierende Umstrukturierungsprogramme mitgemacht. Da wollen alle die Veränderung und sich weiterentwickeln.

Jelden-Heyden2-klein

 

Man sagt, dass 60-70% aller Veränderungsprozesse scheitern, andere gehen noch weiter und sagen nur 2 von 10 Projekten gelingen. Woran liegt das?

Was heißt gescheitert? Wann ist etwas gescheitert, wann nicht? Das ist schwierig zu beurteilen. Aus meiner Sicht gibt es vier Hauptgründe, warum Veränderungen im Unternehmen nicht gelingen. 1. Die gefühlte Dringlichkeit ist nicht hoch genug. 2. Ein fehlendes gemeinsames Verständnis (Wer sind wir, wo wollen wir hin? Wie bewerten wir die Entwicklung des Marktes?) 3. Die großen Leitlinien werden zu wenig in die Details übersetzt („Was heißt das jetzt für mich?“) 4. Das, was verändert werden soll, wird nicht nachgehalten, es gibt keine Sanktionierung, alles verläuft im Sande.

Prof. Peter Kruses Modell für erfolgreiche Veränderung basiert im wesentlichen auf drei Dingen: 1. Verständnis (Wir wissen, warum die Veränderung notwendig ist) 2. Transparenz (der Change-Prozess muss einsehbar sein, darf kein Closed Shop sein) und 3. Involvierung (Mitarbeiter können mitmachen – hierarchiefrei).

Transparenz ist ein zweischneidiges Schwert und auch ein schwieriger Begriff. Einerseits fordert die Digitalszene permanent Transparenz. Andererseits beschwert man sich, dass etablierte Unternehmen Innovationen killen. In der Reaktion versuchen Innovationsverantwortliche bewusst raus zu gehen und das Neue draußen voranzubringen z.B. über ein Inkubator- oder ein Accelerator-Programm. Es sollen anfangs nicht so viele Leute mitreden. Das ist eher das Gegenteil von Transparenz und Involvierung. Für einen Restrukturierungsprozess kann dieser Dreiklang vielleicht eher gelten. Für einen Innovationsprozess kann es besser sein, unter dem Radar anzufangen.

Früher hast du Trends erforscht, heute bietest du Methoden und Begleitung zur Implementierung an. Wie sieht das konkret aus?

Wir arbeiten zum Beispiel mit einem Werkzeugkasten aus klassischen Strategie-Tools, bekannten und unbekannteren Innovationsmethoden und Ansätzen der Organisationsentwicklung. In der Regel arbeiten wir mit Gruppen und helfen diesen, schneller und besser zu guten Ergebnissen zu kommen. Anders als das Design Thinking, haben wir häufig einen stärkeren Blick nach innen auf die existierenden Strukturen, Proezesse, Akteure und die damit verbundenen Dynamiken. Es geht nicht so sehr darum, zu gucken, wie die Kunden des Unternehmens dies und das nutzen, sondern um schwierige interne Konstellationen, wer muss intern bei einem Projekt zusammenarbeiten.  Teilweise kennen sich die Beteiligten nicht so gut, müssen aber gemeinsam etwas an den Start bringen. Wir machen dafür oft eine sog. Akteursanalyse. Wer ist das eigentlich, was will die Person, was für strukturelle Zwänge gibt es. Dann setzen wir die Prozesse auf, mit denen die Handelnden selbst in die Lage kommen, sich darauf die Antworten zu geben.

Jelden-Heyde-klein

Unterscheiden sich Agenturen als Kunden in den Fragestellungen von anderen Unternehmen oder ist das relativ ähnlich?

Das ist schon recht ähnlich. Ich hatte im letzten Jahr mit einer Agentur gearbeitet, die sich vor einigen Jahren eine Digitalagentur dazugekauft hat und wo die Zusammenarbeit nicht so richtig lief und man eigentlich gemerkt hat, dass man die Kernagentur viel stärker digitalisieren müsste. Ähnliche Fragen hat man bei Unternehmen natürlich auch.

Im Agenturmarkt ist Digitalisierung das treibende Thema. Jeder geht hier seinen eigenen Weg über Zukäufe, Schulungen, das Addieren fehlender Kompetenzen usw. Du hast selber die Studie „Agenturen der Zukunft“ verfasst. Was ist aus deiner Sicht der richtige Weg?

Es war ja nicht nur eine Studie, sondern ein Think-Tank, sprich ein gemeinsames Arbeiten mit Agenturentscheidern. Auf deine Frage gibt es leider keine pauschale Antwort, weil es davon abhängt wo man steht, wie schnell so ein Modell fliegen muss und auch wie lange man abgewartet hat. Wenn man sagt, man baut sich eine eigene Unit dafür auf oder kauft eine Spezialagentur, dann wird man relativ schnell in dem Bereich etwas machen können, allerdings mit Problemen im Inneren. Wenn man das über Schulungen löst, dann dauert das natürlich. Das Neue wird erst einmal aus Reflex in eine eigene Unit gepackt, dann stellt man oft fest, das funktioniert nicht so richtig, weil die Fachleute sich isolieren und der Rest weitermacht wie bisher. Dann fängt man an, die neuen Experten in verschiedene Bereiche einzusortieren und alles Neue scheint in der Tretmühle zu versickern. Wenn du mit fünf Experten in einem Raum sitzt, dann spielst du dir die Bälle zu, dann schaukeln die sich hoch, wenn du die verteilst, wird der Austausch geringer. Dann kriegt man von denen weniger mit. Trotzdem muss das an irgendeinem Punkt passieren. Sonst bleibt das Thema in der Nische.

Wie sahen die Szenarien aus in deiner Studie?

Die sind hier auszugsweise nachzulesen.

Kommen wir zum Thema Arbeiten 4.0 oder auch „New Work“. Viele sind Gefangene ihrer eigenen Wahrheiten, die einen sagen, am besten jeden Tag einen neuen Platz im Büro suchen, aber die Angestellten versuchen als erstes einen festen Platz mit ihrem Team zu ergattern. Die einen sagen, der virtuelle Arbeitsplatz macht flexibler und dynamischer, die anderen sagen, durch diese Form von Arbeit vereinsamen die Mitarbeiter und arbeiten schlechter zusammen. Manchmal hat man das Gefühl, die Firmen denken, wenn ich mein Büro wie Google einrichte, dann wird es schon was mit der Innovation. Die Struktur bleibt aber ansonsten gleich.

Man ist gut beraten zu unterscheiden zwischen dem, was gesagt wird, und dem, was getan wird. Es wird viel geredet über agil und dynamisch, selbstbestimmt und demokratisch, hierarchiefrei, die Silos aufbrechen usw. Da wird auch viel von den Vorstandsvorsitzenden erzählt. Man hinterfragt das gar nicht mehr, das gilt als gut, das ist die Wahrheit. Hier werden Visionen und Wirklichkeit verwechselt. Gleichzeitig passiert auf der Handlungsebene komplett das Gegenteil. Das ist so ein bisschen wie „Hurra wir haben WLAN, aber die Anforderungen kommen immer noch per Fax.“

Du bist schon lange selbstständig. Warum hat Jörg Jelden bisher noch nie in einem Unternehmen gearbeitet?

(lacht) Die Frage taucht immer mal wieder auf. Zu Beginn bin ich in die Selbständigkeit eher so reingerutscht, da gab es einen konkreten Auftrag und ich habe gedacht, okay, ich habe ja nichts zu verlieren. Bisher habe ich auch sehr wenig Unternehmen und Stellen gesehen, die ich spannend genug finde. Ich kann mir bei den meisten Unternehmen nicht vorstellen, da jeden Tag hinzufahren und in das gleiche Gebäude reinzugehen. Ich arbeite im Moment 30 Stunden und damit gewinnt man im Unternehmen auch keinen Blumentopf. Natürlich guckt man, wenn man älter wird, ob man so weitermachen will, aber vieles ist einfach auch Zufall.

Zufall ist ein schönes Stichwort. Mit meinem Lieblings-Taxler Walter in München haben wir mal über den Zufall philosophiert. Wir glauben beide daran, dass es einen großen Unterschied gibt zwischen dem dummen Zufall und der Situation, dass jemanden etwas „zu fällt“, z.B. wenn man es verdient hat.

Ich habe mal gelesen: „Glück ist Vorbereitung plus Zufall“.

Jörg, vielen Dank für das Gespräch!

Fotos Workshops: Valentin Heyde

NEW-D Newsletter