Komplex, träge und verkrustet? Kann man einen öffentlich-rechtlichen Sender verändern? Als gebürtiger Bremer war während meiner Jugend das Nachrichtenmagazin „buten un binnen“ von Radio Bremen Pflichtprogramm. Die Moderatorin von damals hieß Brigitta Nickelsen. Nach langer Zeit traf ich sie nicht auf dem Bildschirm, sondern in Hamburg auf einem Seminar zu Rollenverteilungen in Organisationen. Ein guter Anlass, mal nachzufragen, was sie heute macht und wie sie Radio Bremen in den letzten Jahren mitgestaltet hat.

Viele Bremer kennen Sie aus dem TV-Nachrichtenmagazin „buten un binnen“, doch seit längerem sind Sie in leitender Position bei Radio Bremen hinter den Kulissen tätig. Wie kam es dazu?

Lange bin ich vor allen Dingen Journalistin gewesen. Moderatorin ist ein Teil meines journalistischen Berufes gewesen, aber nur der kleinste Teil, der allerdings dominierend war in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit. Ich habe als Chefin vom Dienst für die Sendung gearbeitet, war zum Schluss stellvertretende Abteilungsleiterin und war viele Jahre Ausbilderin und Trainerin für junge Kolleginnen und Kollegen in der ARD und auch für das ZDF. Die Neugierde auf möglichst abwechslungsreiche Tage, auf Geschichten, die Neugierde auf Menschen, das hat mich immer getrieben im besten Sinne. Ich möchte Dinge möglich machen, gestalten und auch in Verantwortung zusammen im Team Dinge voranbringen.

Ich habe Freude an der Übernahme von Verantwortung. Diesen roten Faden findet man auch in der Moderation. Dort war ich der rote Faden durch ein Inhalteprogramm, von dem die Menschen zuhause sagen sollen: „Es hat mir etwas gebracht, es war sinnvoll, dass ich dreißig Minuten meiner wertvollen Lebenszeit mit den Inhalten verbracht habe und dabei die Moderatorin Verbindungen geschaffen, Kontexte hergestellt und vielleicht auch schlaue und überraschende Gespräche geführt hat.“ Das ist mein Verständnis von einer guten Moderation (von Sendungen).

Die Fähigkeit zur Moderation scheint mir sehr wichtig, um Veränderungen in Organisationen anzustoßen. Was Sie beschreiben, klingt nach einem Beispiel, wie man einen guten Workshop gestalten würde.

Unbedingt! In meiner heutigen Funktion (Mitglied des gesetzlichen Direktoriums von Radio Bremen, Direktorin für Unternehmensentwicklung und Betrieb), in dieser jetzt sehr verantwortlichen, hierarchischen Position, in der ich seit knapp 9 Jahren tätig bin, fragen mich immer wieder Menschen: „Vermissen Sie gar nicht, was Sie früher gemacht haben?“ Ich sage dann immer: „In Wahrheit mache ich das immer noch.“ Man sieht es nicht mehr, aber es ist genau das.

Führung bedeutet für mich Verbindungen schaffen, zuhören, Bereiche, Abteilungen, Menschen miteinander ins Gespräch bringen, gerade und besonders dann, wenn diese ganz unterschiedliche Perspektiven auf ein Thema haben. Rote Fäden erkennen, den Überblick behalten, einen Rahmen vorgeben, den Blick fürs Große, Ganze haben (eine „Vision“).

Und ob ich dann eine Sendung vorantreibe, planerisch oder in der Präsentation oder Überlegungen im Unternehmen oder Projekten, das hat ganz viel miteinander zu tun.

Neben dem Überblick und dem strategischen Verständnis ist Kommunikationsfähigkeit, Empathie und die Fähigkeit zuzuhören essentiell. Im März um den Frauentag herum gehe ich oft zu Schülerinnen und Schülern, häufig mehr Schülerinnen, und spreche über das Thema „Wie können Frauen Karriere machen?“ Viele Mädchen und junge Frauen sagen dann „Ich möchte was mit Menschen machen.“

Meine Antwort: „Werdet Führungskraft. Macht Karriere. Dann habt ihr den ganzen Tag mit Menschen zu tun.“

Dieses neue Verständnis von Führung hat auch viel mit der Digitalisierung und der Geschwindigkeit des Wandels zu tun. Veränderungen nicht zu befehlen oder zu verordnen, sondern mit der Autorität einer Führungsrolle als Moderatorin und Netzwerkerin aufzutreten. Es geht darum, Entfaltung anzuregen.

Eine Moderatorin führt durch eine Sendung. Das bedeutet, dass diese Person einen klaren Rahmen hat, der nicht verhandelbar ist. Es gibt eine Anfangszeit, eine Endzeit, es gibt mehrere Beiträge und zwei Liveinterviews und dann ist Schluss. Alles dreht sich um die Gestaltung. Die Gestaltung der Gespräche, der Liveschalten und um das Zuhören. Von jemandem, einem Mann oder einer Frau, der oder die als Führungskraft heute unterwegs ist, erwarte ich selbstverständlich, dass sie einen Rahmen und ein Zielbild hat. Die Top-Führungskräfte müssen sagen können „Wo wollen wir hin und warum?“ Das „Why“ wird immer wichtiger. Starke, souveräne Führungskräfte können genau das sehr gut kommunizieren.

Sie sind mutig und souverän genug, um sich viele kreative Alphamännchen und -weibchen in die Teams zu holen, die aus verschiedensten Fachgebieten kommen. Die Teams sind auf diese Weise heterogen und gern fachlich schlauer als die Führungskraft selbst. Sie haben das Wissen, die Führungskraft bringt es zur Entfaltung. „Most of the brain is in the team“ sagte dazu mal jemand auf einer Tagung.

Wie sah der Wechsel von der Moderation in die interne Führungsrolle bei Ihnen aus?

2003 hat mich der damalige Intendant angesprochen, ob ich die Projektleitung für das Projekt „Radio Bremen Neu“ übernehmen möchte. Dahinter verbarg sich der Auftrag, zwei Standorte zu einem zusammenführen, also Radio Bremen tatsächlich an einem neuen Standort neu zu bauen und dabei auch das Downsizing des Senders umzusetzen. Die Arbeitsstrukturen, der ganze Sender, sollten sowohl technologisch als auch inhaltlich völlig neu und zukunftsorientiert in Richtung digitaler Welt weitergedacht werden.

Aufgrund einer politischen Entscheidung war klar, dass Radio Bremen innerhalb von sechs Jahren ein Drittel weniger Budget zur Verfügung haben würde. Als ich gefragt worden bin, ob ich die Aufgabe der Projektleitung annehmen würde, war ich Journalistin, stellvertretende Abteilungsleiterin, in Aus- und Weiterbildung engagiert, aber hatte keine Ahnung vom Gebäudebau; ich bin keine Architektin; ich bin keine Betriebswirtin und keine Ingenieurin. Aber ich hatte eine Grundidee und ein Grundverständnis, warum dieses Projekt notwendig war und habe einen tieferen Sinn darin gesehen.

Ich bin dann in diese Projektleitung gegangen, habe drei feste Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bekommen, zwei Ingenieure und eine Sekretärin. Dazu kam eine Projektgruppe aus Abteilungsleiterinnen und – leitern, die alle aus den verschiedensten Bereichen des Unternehmens kamen. Zum ersten Mal haben damals bei Radio Bremen alle, also Verwaltung, Produktion, Technik, Programm (Hörfunk, Fernsehen und Online) in einer Gruppe zusammengearbeitet. Dann steckte ich den Rahmen für die Aufgaben ab und brachte die Leute miteinander in Gespräch.

In fünf von sechs Projektjahren habe ich mich regelmäßig coachen lassen, das war meine Bedingung. Nach sechs Jahren lagen wir im Budget und haben das Projekt nach Plan abgeschlossen. In den ersten ein, zwei Jahren habe ich sehr darum gerungen, meine Rolle als Führungsperson sicher zu definieren und damit umzugehen, dass ich fachlich nicht alles „draufhatte“. Doch es reifte die Erkenntnis, dass es bei Führung nicht als Allererstes um Fachwissen, sondern um das Verständnis der Aufgabe(n) im Ganzen und Klarheit in der Führungsrolle geht, was ich vorhin beschrieben habe.

Wichtig waren und sind: Kommunikationsfähigkeit, die Fähigkeit, zuzuhören, die Fähigkeit, verschiedene Bereiche im Gespräch miteinander zu übersetzen und ins Gespräch zu bringen und daraus dann wiederum konstruktiv Ergebnisse zu entwickeln.

Der verstorbene Unternehmensberater Prof. Dr. Peter Kruse sagte gerne „Erfolgreiche Veränderung braucht Verständnis, Transparenz und Involvierung.“ Die Komplexität von Inhalten, Kanälen und Prozessen ist dramatisch gestiegen in den letzten Jahren. In Agenturen merkt man, dass das „alte Arbeiten“ in getrennten Gewerken nicht mehr funktioniert.

Wasserfall-Prinzipien sind in einem öffentlich-rechtlichen Unternehmen wahrscheinlich noch viel stärker. Dabei entstehen die besten Ideen oft im Austausch. Es gibt keine Genies mehr, die sich alleine irgendetwas ausdenken, dass 100% auf den Punkt trifft. Es hat aber auch in der Kommunikationsbranche ein bisschen gedauert, dahin zu kommen.

Das kann ich komplett unterschreiben. Tatsächlich bin ja auch ich nur ein Teil der Organisation. Mein Projekt ist schwergängig gelaufen und hat Riesenprobleme bereitet, weil das, was ich mir mühsam erarbeitet hatte, nicht auf 100% Verständnis meines damaligen Vorgesetzten traf, vor allem wegen der Art von Beteiligung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir waren strukturkonservativ. Was sich damals über Jahrzehnte bewährt hatte, war die hierarchische Silo-Struktur. Ich verdamme das nicht, ich komme ja auch aus dieser Welt.

Bei unserem sehr vernetzten Projekt wurde aber deutlich, dass das nicht 1:1 funktioniert für die Zukunft und vieles, was schwergängig war, auch darauf beruhte, dass wir mit dem alten Verständnis, wie solche Projekte laufen sollen, gerungen haben. Nachdem der alte Intendant ging, gab es ein Vakuum und ich persönlich wollte nach dieser Projektleitungsaufgabe nicht in die alte Struktur zurück. Auf Eigeninitiative, im Urlaub, habe ich eine Fortbildung bei Metaplan gemacht zum Thema diskursive Unternehmensführung. Das zog sich über anderthalb Jahre hin und da habe ich noch einmal mit wissenschaftlichem Unterbau verfestigt und weiterentwickelt, was ich für Veränderungsprozesse wichtig halte:

Veränderung braucht Beteiligung, Veränderung braucht Diskurs.

 

Viele große Unternehmen haben Programme wie „2020“ oder „2030“ oder “One XYZ“. Die klingen auf der strategischen Ebene klug, aber zwischen Top-Management, mittlerem Management und der Basis versanden sie dann, weil manche Führungskräfte nicht gelernt haben, dass in die nächste Ebene zu bringen oder Beteiligung nicht erwünscht ist.

Sprache ist hier ein ganz wichtiges Moment. Ein Klassiker, leider auch in der Politik sehr häufig genutzt: „Wir müssen Menschen das Gefühl geben…“. Menschen ein „Gefühl zu geben“ heißt meist eigentlich nichts zu tun oder alles so lassen wie es ist.

Und die fühlen sich dann zu Recht veralbert. Es gibt zwei Sätze, die ich auch bei uns gehört habe und denen ich mich mittlerweile verweigere. „Wir müssen die Kolleginnen und Kollegen motivieren“ und „Wir müssen sie mitnehmen.“ Wenn jemand sagt: „Ja, motivieren Sie mich“ oder „Dann nehmen Sie mich doch bitteschön mit“ sage ich, „Nein, ich werde beides sicher nicht tun. Ich werde Sie nicht motivieren und ich werde Sie auch nicht mitnehmen.“ Motivation ist intrinsisch.

Ich kann niemanden von außen motivieren, ich kann als Führungskraft nur einen Rahmen und einen Raum schaffen, dass sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst motivieren und das Gefühl und die Sicherheit haben, dass sie ein gutes, unterstützendes Feld für ihr Tun durch die Führungskraft bekommen. „Mitnehmen“ ist für mich auch völlig passiv aus Sicht der Teams. Das ist wie: „Nimm mich auf den Arm und trage mich rüber und wenn ich dir zu schwer bin, dann schaffst du es halt nicht.“ Deswegen sage ich: Es geht um das Beteiligen, nicht das Mitnehmen.

Die Umstrukturierung eines Medienhauses hat viele Aspekte. Die Digitalisierung findet auf Seiten der Hörer, Zuschauerinnen und Leser statt, aber auch in der Produktion der Inhalte selbst. Gibt es Vorgaben in der ARD, ob man jetzt Redaktionssystem A nimmt oder Studiotechnik B oder HD oder 4K produziert?  

Die ARD ist eine Arbeitsgemeinschaft und kein Konzern. Das ist anders als beim ZDF als einer großen Einrichtung. Die ARD macht gemeinsam „Das Erste“ als Fernsehprogramm und die gemeinsame, neue Mediathek, aber ansonsten sind es neun komplett unabhängig voneinander existierende Landesrundfunkanstalten. Jede Rundfunkanstalt ist frei in ihren Entscheidungen, auch bei Veränderungsprozessen in Bezug auf technische Systeme.

Wir sind Mitglied der Produktions- und Technikdirektorenkonferenz, sind also immer im Austausch und beraten uns zu Fragen wie: Sag mal, was nutzt du? Was hat sich bewährt? Oft sind es ähnliche Systeme, aber immer angepasst für den eigenen Sender. Für das Projekt „Radio Bremen Neu“ haben wir uns komplett von der analogen Technologie verabschiedet; egal, ob es um Radio, Fernsehen oder auch Internet-Ausspielwege geht. Seit ungefähr zwei Jahren allerdings haben wir uns in der ARD commited, besonders im technologischen und IT-administrativen Bereich intensiver zu kooperieren – bei diesem Ziel ist übrigens wieder die Mischung aus Vision und Moderationsfähigkeit gefragt bei denen, die dabei in Führung gegangen sind.

2007 sind wir bei Radio Bremen in das neue, gemeinsame Haus eingezogen. 2008 war dann das Konsolidierungsjahr, um die ganzen Bugs und Probleme auszumerzen. Aller Content kommt seitdem digital ins Haus, das ganze Haus arbeitet auf der Basis eines vernetzten Server-Systems. Mit dieser Basis waren wir die ersten in der ARD. Wir waren das erste öffentlich-rechtliche Medienhaus, wo man an jedem Arbeitsplatz, der als Redaktionsarbeitsplatz definiert war, Zugriff auf die digitalisierten Inhalte hatte. Wir unterscheiden nicht mehr zwischen Bildern, Videos, Texten. Jede Redakteurin und jeder Redakteur hat Zugriff auf den Content. Ich bin stolz, dass wir das geschafft haben. Es war mutig und wir hatten erst auch keinen technischen Dienstleister, der uns so ein System für alle Ausspielwege bauen konnte. Wenn der Inhalt im Mittelpunkt steht, sind wir auch für neue Ausspielwege fit.

Wird mit der neuen Technik auch integrierter gearbeitet? Ich könnte mir vorstellen, dass ein Redakteur vom Hörfunk ein Stück aus dem Fernsehen auf seiner Website veröffentlichen möchte. Oder arbeitet Redaktion für Redaktion noch einzeln und jeder macht seine eigenen News?

Das ist ein Prozess, der immer noch andauert. Auf der technologischen Seite haben wir die Hardware geschaffen, also den Rahmen. Es ist gut, wenn jeder Bereich nicht alles neu plant, dass du nicht fünf Planende hast, die das gleiche Thema planen, sondern du hast z. B. eine Planerin und drei Journalistinnen und Journalisten, die das Thema für unterschiedliche Ausspielwege bearbeiten.

Diesen Prozess und diese sich immer noch häufig „neu“ anfühlende Art zu arbeiten ist allerdings eine große menschliche Herausforderung, denn es ist nie das technische System, sondern es sind die Menschen, die schrittweise aus alten und bisher gut funktionierenden Denk- und Arbeitsstrukturen und –traditionen heraus sich beteiligen müssen, um in der neuen Welt zusammen zu arbeiten.

Man muss Prozesse richtig gut installieren und steuern und wir haben dabei auch Fehler gemacht in der Vergangenheit. 2018 ist es uns wirklich gelungen, in einer Form von systemischer Organisationsentwicklung den aktuellen Fernsehbereich, ein Kernstück unseres Informationsjournalismus, unter das Dach einer gemeinsamen Chefredakteurin zu integrieren. Wir haben nur eine Chefredaktion für alle Inhalte, unabhängig vom Ausspielweg, aber bisher war die nur für Radio und Online zuständig. Jetzt gibt es einen gemeinsamen Desk, den „Stern“. Im Prinzip sind es, vereinfacht gesagt, zwei Arbeitsinseln nebeneinander, wo sowohl die aktuell Planenden, als auch die, die Mittelfrist- und Langfristplanung machen, zusammensitzen – für die aktuelle Berichterstattung von Radio Bremen.

Betrifft das auch das Thema Social Media? Oft sieht man, dass Beiträge gekürzt, zusammengefasst und in Einzelbeiträgen z.B. auf Facebook gepostet werden. Ist die gemeinsame Chefredaktion ein Weg, das in Zukunft besser zu bespielen?

Was wir heute in Social Media machen, ist besser als nichts, aber tatsächlich noch ausbaufähig und –nötig, weil alle Ausspielkanäle anders funktionieren. Wir versuchen mit unseren beschränkten Möglichkeiten, Fachleute extra dafür einzusetzen, die zum Teil auch Material bearbeiten, was jemand anders gedreht und ins Haus gebracht hat. Eine Social Media Strategie für die verschiedenen Themen funktioniert nur, wenn man eine gemeinsame Planung der Inhaltekoordination hat. Wir schaffen das nicht für jedes Thema, dafür sind z. B. die Hörfunkwellen zu individuell auf unterschiedliche Zielgruppen ausgerichtet.

Aber die Landtagswahl in Bremen in diesem Jahr ist ein gutes Beispiel dafür, bei dem sich natürlich jeder Ausspielweg mit dem Thema beschäftigt, auf Facebook muss es genauso auftauchen wie auf Instagram, der Nachrichtenwebsite und den „traditionellen“ Medien wie Radio und Fernsehen. Nur: die Tonlage, das Format, die Art, wie du es präsentierst, ist auf jedem Distributionsweg unterschiedlich, aber es wird gemeinsam geplant und du hast erst einmal den gemeinsamen Content, der dann entsprechend, formatiert wird.

Die öffentlich-rechtlichen Sender haben mit „Funk“ ein Angebot auf den Markt gebracht, dass aus vielen Einzelformaten besteht, die alle digital sind und junge Menschen erreichen sollen. Radio Bremen hat das digitale Angebot „Next“, das neben einer Hörfunkfrequenz hauptsächlich im Netz unterwegs ist, „Next“, das auf positive Resonanz stößt. Was machen Sie da und wie kommt das in der Organisation an?

„Next“ ist die regionale Antwort auf „Funk“. „Funk“ ist ein Gemeinschaftsprojekt aller öffentlich-rechtlichen Anstalten innerhalb der ARD. Die haben keinen Fernsehausspielweg, weil die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten die medienpolitische Entscheidung getroffen haben, dass „Funk“ ausschließlich im Netz vorkommt. Wir bei Radio Bremen hatten für den Radio-Bereich noch eine Art „Restfrequenz“, so kann „Next“ auch als Radiowelle laufen. Der Grundgedanke ist der gleiche wie bei „Funk“, wir wollen die sehr jungen Menschen besser erreichen. Das Team haben wir, salopp formuliert, von der Straße akquiriert. Die leben cross-mediales Planen und Mit-Denken der Social Media-Kanäle als Ausspielwege ganz natürlich.

Die bestehenden Hörfunk-Wellen und zum Teil auch die Fernsehredaktion haben das anfangs mit Skepsis beobachtet. Wir mussten an anderer Stelle Budgets einfrieren, um Geld freizukriegen für „Next“. Aber wir waren zutiefst davon überzeugt, dass das strategisch absolut wichtig für Radio Bremen ist. Die Resonanz in der Stadt ist so toll, dass das auch wieder reinstrahlt ins Haus. Die Durchlässigkeit zwischen „jungen“ und „alten“ Redaktionen ist größer, die etablierten Wellen und Kolleginnen und Kollegen gucken hin, sind neugieriger geworden.

Doch wie schon vorher beschrieben, du kannst erfahrenen Kolleginnen und Kollegen nicht sagen: „Guckt euch das an, macht das genauso“. Über Neugierde, Interesse und kleine Erfolge und Gespräche muss sich das entwickeln und das passiert jetzt auch. Und natürlich sitzt die Next-Redaktionsleitung genauso in der wöchentlichen Themenkonferenz wie die Vertreter der „etablierten“ Radio-Wellen.

Auch ein Hospitationsprogramm gibt es jetzt. KollegInnen vom Fernsehen setzen sich zwei Tage in die Jugendhörfunkwelle und vice versa. Oder die Onlineredaktion geht zu „Next“ rüber. Wir wollen schrittweise das Interesse und Verständnis für die Arbeit der anderen wecken.

Blicken wir in die Zukunft. Was muss Radio Bremen BewerberInnen die „Was mit Medien“ machen wollen bieten, was müssen sie können?

Ein interessanter Job alleine ist zu wenig als Angebot; wir müssen auch punkten mit einer guten, flexiblen, modernen Unternehmenskultur. Wir merken das, wenn wir unsere journalistischen Ausbildungsplätze ausschreiben, bei denen wir natürlich das Profil inzwischen auch geändert haben. Ich habe meine Ausbildung beim NDR gemacht, habe Hörfunk und Fernsehen gelernt und das war es dann. Heute gibt es keinen und keine mehr, der/die sich nicht auch in Social Media Kanälen bewegen kann. Das ist inzwischen eine Selbstverständlichkeit.

Heutige BewerberInnen sind auch eher bereit zu sagen „Natürlich nehme ich das Gerät selber in die Hand“ und produziere auch. Und wenn ich an die Zukunft denke, könnte es auch sein, dass wir Bewerbungen von Menschen mit Pilotenscheinen für Kameradrohnen suchen werden, die auch Journalismus lernen wollen – das ist nur ein Beispiel. Es ist sehr viel Dynamik in den Profilen der Medienberufe.

Bei der Anzahl der Bewerbungen sehen wir, dass es weniger sind als früher. Wir finden immer noch tolle Auszubildende im journalistischen Bereich. Aber nicht jeder oder jede nimmt am Ende immer den Jungredakteursvertrag. Wir erleben, dass die Kolleginnen und Kollegen mit Ende 20 nach einem interessanten Teilzeitjob anstatt Fulltime-Arbeit fragen; sie gucken nach Möglichkeiten eine Auszeit zu nehmen. Nicht weil sie nicht arbeiten wollen, sondern weil sie sehr viele andere Interessen haben, die sie unter einen Hut bekommen wollen in ihrem Leben.

Als Arbeitgeber muss ich flexibler sein; ich muss mehr Möglichkeiten anbieten. Das „Du bist jetzt im Sender und das ist deine Chefredakteurin und jetzt hast Du das hier zu machen und was, Teilzeit? Da frage doch mal in 20 Jahren nach“, das ist komplett vorbei.

Gelingt das denn überhaupt in einem TVÖD-System, sind die Möglichkeiten und Spielräume nicht extrem begrenzt?

Nein, das finde ich nicht. Wenn verantwortlichen Redakteure und Redakteurinnen gemeinsam mit der Geschäftsleitung bereit sind zu neuen Modellen, geht ganz viel. Wir müssen das, was schon immer so war und wie wir groß geworden sind im System, in unseren Positionen zur Seite stellen. Teilzeitangebote zu machen oder bestimmte Sonderprojekte zu ermöglichen, wenn wir das wollen, geht das. #

Es gibt für auch für uns Grenzen. Zum Beispiel hatten wir den Fall, dass jemand nach der journalistischen Ausbildung nur 50% für Radio Bremen arbeiten wollte, um sich noch anders auszuprobieren und in eine andere Stadt gehen zu können. Das war nicht unser Unternehmensinteresse, in Ausbildung zu investieren, um im Anschluss mit einem so niedrigen Teilzeitvertrag die Selbstständigkeit zu fördern.

Wichtig aus meiner Sicht, um Menschen im Unternehmen zu halten, das Beteiligungsprinzip bei Radio Bremen. Können sich auch die Jüngeren an Veränderungsprojekten beteiligen? Finden sie eine Stimme? Können sie Innovationen anregen? Gibt es Raum dafür, neue Ideen auszuprobieren?

Das ist entscheidend dafür, ob wir auch in der Zukunft für junge Menschen attraktiv sind.

Frau Nickelsen, vielen Dank für das Gespräch!

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Bildnachweise: Radio Bremen, Jan Rathke