2017 war der bisherige Höhepunkt der Berichterstattung über die Kryptowährung Bitcoin. Wie sieht es heute aus? Ein Longread für das Wochenende.Als Bitcoin Mitte Dezember die 20.000 Dollar-Marke erreichte, gab es wohl kein Medium dieser Welt, das nicht davon berichtete. Wahlweise mit Goldschürfer-Vergleichen oder Tulpenmanie Erwähnungen. Mitten in dieser Zeit an einem Sonntag, saß ich im Arbeitszimmer und sprach mit Friedemann Brenneis, freier Journalist, Gründer und Autor des Blogs „The Coinspondent“ und Macher des Podcasts „Honigdachs“.

Friedemann Brenneis begleitet die Entwicklungen rund um Blockchains und Kryptowährungen sowohl mit kritischer Distanz als auch mit positiver Begeisterung. Er entmystifiziert typische Krypto-Klischees und schreibt unter anderem für „Die Zeit“. Er erläutert, warum Aussagen wie „Die Produktion eines Bitcoins verbraucht soviel Strom wie eine Familie ein ganzes Jahr braucht“ unzutreffend sind. Während unseres Gespräches fällt der Bitcoin-Wert um 2.000 Dollar und ich kaufe für 100 Euro. Der Bruchteil meines Coins ist heute (März 2018) 121,48 Euro wert.

Herr Brenneis, viele Gründer eines Blogs oder eines journalistischen Startups berichten von einem „Erweckungsmoment“? Was brachte Sie zum Thema?

Ich habe eigentlich Hörfunk studiert und bin Journalist, hatte aber nie ein spezielles Thema, das mich besonders interessiert hat. Ich schrieb viel über Subkulturen. 2010-2012 tauchte das Thema häufiger in meinen Quellen auf. Als der Bitcoin-Kurs 2013 auf über 1000 Dollar schoss, dachte ich „Jetzt ist der richtige Zeitpunkt um sich intensiver damit zu beschäftigen.“.

Deutschlandfunk Nova gab mir dann den Auftrag für einen Beitrag. Die Idee „Alle werden gerade reich mit Bitcoins“. Ich machte den Selbstversuch. Ich baute mir einen Bitcoin-Miner auf den Schreibtisch und ließ den zwei Wochen laufen. Dann sah ich nach, wie reich ich geworden war. Für die Hardware bezahlte ich 350 Euro, der Gewinn: 7 Cent. Das war okay, der Beitrag war bezahlt und ich hatte Zeit für die Recherche. Ich stellte fest: Bitcoin ist mehr als das Drogen- und Hackergeld, was damals der Ruf war.

Ich entdeckte eine interessante politische Haltung dahinter und eine viel versprechende Technologie. Ich merkte, das ist etwas Langfristiges, das verschwindet nicht schnell wieder, und wenn keiner in Deutschland darüber regelmäßig berichtet, dann mache ich das. Das Blog ist quasi der Startpunkt von meinen Recherchen aus dem DLF Beitrag. Ich möchte eine Hilfe sein für diejenigen, die nicht so viel Zeit für die Recherche haben.

Die Utopien, die in dem Thema stecken, finde ich besonders faszinierend. Für mich ist das eine Art „Techno New Wave Hippietum“, eine libertäre Technologie, die dazu führen könnte, dass sowohl das Internet neu erfunden wird, als auch der Umgang mit Geld. In welche Richtung wird es sich entwickeln?

Man darf die politische Dimension nicht unterschätzen. Das wird momentan total ausgeblendet, weil immer gesagt wird: Bitcoin ist staatenloses Geld ohne eine Bank und damit apolitisch. Aber es gibt eine ganz große politische Motivation, warum dieses Geld überhaupt ins Leben gerufen wurde. Die Idee von einem digitalen Geld, das sich so wie Bargeld hin- und herschicken lässt, wo aber die jeweiligen Transaktionspartner anonym oder zumindest in gewisser Weise privat bleiben, gibt es schon lange. Aber sie hat technisch bisher nicht funktioniert. Da sagten sich einige: „Wir brauchen Geld, das unabhängig von Staaten ist und private Transaktionen ermöglicht“.

Diese Idee kommt aus der Cypherpunk-Community, die auch den quasi-anonymen TOR-Browser und E-Mail Verschlüsselung propagiert. Das Cypherphunk Manifest wurde 1993 veröffentlicht. Seitdem ist für viele Menschen spürbar geworden, wie dringend dieses Anliegen ist angesichts von Massenüberwachung durch Geheimdienste, die Finanzkrise, die Datensammelwut von Konzernen, Paradise Papers, Panama Papers, um nur einiges zu nennen. Verluste werden sozialisiert und Gewinne individualisiert. Das sind Gründe, warum Bitcoin so gewachsen ist.

Das hat man zum Beispiel auf Zypern gesehen, als 2013 die Geldautomaten der größten Banken auf einmal nur noch 100 Euro am Tag ausgespuckt haben: Da sind die Suchanfragen auf Google zum Thema Bitcoin durch die Decke gegangen. Und in Indien, als der Premierminister die wichtigsten Banknoten, quasi über Nacht, für ungültig erklärt hat. Genauso ist es zurzeit in Venezuela, in Simbabwe und in vielen anderen Ländern der Welt.

Es gibt eine Statistik des internationalen Währungsfonds: Zwischen 1970 und 2007 gab es 124 Bankenkrisen, 226 Währungskrisen und 64 Staatsverschuldungskrisen auf nationaler Ebene. Das sind gigantische Zahlen, wenn man bedenkt, wie viele Leute davon betroffen sind, die dann vielleicht Hoffnung suchen oder sagen: „Okay, Geld funktioniert vielleicht besser ohne Banken und Staaten, wenn es auf Mathematik und Algorithmen basiert.“

Gehen diese idealistischen Ideen mit dem Boom nicht gerade wieder verloren? Es gibt eine große Konzentration im Mining-Bereich in China, Exchanges wie Coinbase oder Binance agieren sehr „zentral“. Die Dezentralität auf der alles beruht, wird mit dem Geld im System wieder ad absurdum geführt, weil sich Macht und Einfluss wieder zentral sammeln.

Das stimmt. Man muss verstehen: Bitcoin ist ein großes Experiment. Niemand hat gesagt: „Das ist der Masterplan für die nächsten zehn Jahre.“. Sondern: „Das ist Bitcoin. Mal gucken, was wir damit machen können.“. Seitdem sind neun Jahre vergangen. Und natürlich gibt es diese ganzen Mechanismen, die daraus entstehen. Die waren aber nicht vorhersehbar. Es gibt viele Bedingungen: Das Netzwerk, die Dezentralität. Es ist wie ein Live-Test: Was sind gerade eigentlich die großen Probleme? Wo muss am dringendsten Hand angelegt werden, damit dieses Experiment noch weitergeht und tatsächlich auch funktionieren kann?

Die Dezentralität ist einer der größten Punkte, auf die geachtet wird. Und klar, es gibt immer diese Mechanismen, dass doch wieder so eine Art von Zentralisierung stattfindet. In Punkto China: Es ist unglaublich schwierig, verlässliche Zahlen zu Bitcoin zu finden. Einfach, weil es in diesem dezentralen System keine Stelle gibt, die Statistik führt. Zum Beispiel kann man nur die sog. Bitcoin Nodes erfassen, die einen bestimmten Port offen haben. Die meisten davon haben den Port aber geschlossen.

Oder die Mining-Pools, wo Rechenleistung zur Erzeugung der Bitcoins zusammengeschlossen wird. Die sind zwar in China, aber man weiß nicht, wer aus welchen Ländern da alles beteiligt ist. Das können auch Leute aus Island sein oder aus Südost-Europa. Dort stehen die Maschinen und laufen. Die können aber jederzeit in einen anderen Pool wechseln, der in den USA ist oder in Korea steht. Dann ist die Verteilung wieder eine andere. Es ist schwer, konkrete Aussagen über dieses Netzwerk zu treffen.

Genauso ist es mit dem Thema Energie. Medien schrieben, dass eine Bitcoin-Transaktion so viel Energie verbraucht wie ein Haus in einer Woche. Das sind webtaugliche Schlagzeilen, die Klicks bringen, aber nicht durchdacht und hinterfragt werden. Viele Bitcoin-Minen sind in China, in der Nähe von einem Wasserkraftwerk das für eine Fabrik gebaut wurde, die aber später nicht gebaut wurde. Oder auf Island, wo man Geothermie nutzt, weil die Energie ohnehin da ist und nicht komplett genutzt wird. Eine Statistik hat auch die Umweltschädlichkeit von Bitcoin hochgerechnet anhand einer mongolischen Braunkohle-Mine. Wenn man so etwas heranzieht, ist das natürlich schädlich, aber das ist nicht die komplette Wahrheit über Bitcoin.

Das wäre doch ein nettes Integrationsprojekt für die Sondierungsgespräche, Grüne Energieversorgung und Kryptomining. Vielleicht können wir die Grünen und die FDP mit so einem Projekt doch nochmal näher zusammenbringen.

In der Tat. Es soll in Deutschland an Spitzentagen, wenn die Sonne scheint und ordentlich Wind weht, so viel Energie geben, dass man keine AKW braucht. Was macht man mit dieser überschüssigen Energie? Wir können die Atomkraftwerke ja nicht einfach so an- und ausschalten, und da gibt es dann halt Bitcoins. Jemand meinte, Bitcoin ist wie eine Batterie für Strom. Es beschweren sich auch viele Windanlagenhersteller, dass gerade dann wenn der Wind besonders kräftig bläst, die Räder stillstehen müssen, weil das Netz den Strom nicht aufnehmen kann. Es gibt ein Überangebot an Strom, das produziert wird, aber die Netze sind nicht in der Lage, es abzunehmen. Das wird ja nicht willentlich verschwendet, sondern die Netze müssten dafür ausgebaut werden, um diesen überschüssigen Strom nutzen zu können. Vielleicht eine schöne Idee für Lichtblick oder andere.

Wenn man neu in die Krypto- und Blockchain-Welt einsteigt, ist man erstmal überfordert. Es wimmelt Abkürzungen, wie FUD, Hard Fork, Airdrop, Bounty-Programmen, ICOs und vielem mehr. Warum macht die Szene es Außenstehenden so schwer?

Es wird ja nicht absichtlich schwer gemacht. Es kümmert sich niemand darum. Niemand ist verantwortlich dafür, zu sagen: „Wir machen jetzt eine gute Kommunikationsstrategie, um Bitcoin verständlicher zu machen.“ Das ist Internetkultur.

Vielleicht ist es auch gar nicht schlecht, dass es eine Einstiegshürde gibt, weil Bitcoin noch immer ein Experiment ist und die Gefahr ist hoch, dass man auf irgendeine Weise Geld verliert.

Bitcoin als Geld funktioniert komplett anders als das, was wir jahrzehntelang gelernt haben. Wenn ich mein Passwort zum Online-Banking verliere, dann rufe ich bei der Bank an oder schreibe eine Mail und dann schalten sie mich wieder frei. Bei Bitcoin geht das nicht. Es gibt keine Bank und es gibt auch niemand anderen, dem ich schreiben könnte. Wenn ich mein Passwort verliere oder mein PIN oder mein Backup, dann ist das Geld weg. Viele Leute haben das schon auf eine sehr harte Art gelernt. Es ist vielleicht gar nicht verkehrt, wenn die Leute gezwungen sind, sich erstmal intensiver mit dieser ganzen Materie auseinanderzusetzen, bevor sie kommen und sagen: „Oh, der Kurs geht hoch! Ich kaufe mir Bitcoins und werde schnell reich.“

Die Wahrscheinlichkeit, dass sie dann ihr Geld verlieren, ist unglaublich hoch. Man braucht andere Kulturtechniken. Wobei niemand auf Nachfrage genau definieren kann, was Geld eigentlich ist. Ich glaube, das wird sich in Zukunft noch ändern. Was wir ja schon die letzten Jahre gesehen haben, ist, dass gewisse Begriffe schon als Allgemeinwissen vorausgesetzt werden. Ich merke das, wenn ich mit Redaktionen kommuniziere, dann sagen die: „Du musst nicht erklären wie die Blockchain funktioniert. Geh gleich auf diesen oder jenen Aspekt ein.“

Das war vor drei Jahren noch komplett anders. Trotz der Berichterstattung ist das immer noch ein Early-Adopter Thema. Die Usability ist auch noch nicht reif für den Massenmarkt.

Über Bitcoin wird am meisten gesprochen. Es gibt aber über 1.000 weitere so genannte Altcoins, die teilweise für ganz eigene, merkwürdige Zwecke designed sind. Reddit hat einen eigenen Coin. Dann gibt es Ether, das quasi für die Ethereum-Blockchain der Treibstoff ist, um dort Transaktionen durchzuführen. Wie ist die Bedeutung dieser Altcoins? Was für Funktionen gibt es? Und was passiert denn eigentlich mit Sachen, die wie Währungen verstanden werden aber nicht wie solche eingesetzt werden? Es gibt ja noch extrem wenige Möglichkeiten, mit Bitcoin zu bezahlen.

95 Prozent der Altcoins oder der alternativen Blockchain-Projekte sind nur Versuche, schnell an Geld zu kommen. Die verfolgen keinen speziellen Zweck. Die haben erkannt, dass man heute immer jemanden findet, der darauf spekuliert, dass dein Projekt im Kurs steigt. Es gibt wenige Projekte, die einen sinnvollen Zweck verfolgen. Und unter denen, gibt es noch weniger mit einem realem Usecase. Und wo man sagen kann: Dafür braucht man eine Kryptowährung oder ein Blockchain-Projekt.

Das alles sehe ich bei Ethereum, dem zweitgrößten Blockchain-Projekt. Es gibt unglaublich viele Ideen und Projekte, was man damit machen könnte. Und es werden Prototypen gebaut. Es gibt aber noch nicht einen einzigen echten getesteten Anwendungsfall, wo man gesagt hat: Diese „Smart contracts“, also intelligente Verträge, müssen unbedingt auf einer dezentralisierten Blockchain-Technologie laufen. Ethereum ist eine tolle Lösung auf der Suche nach Problemen.

Der einzige Fall bisher, wo Blockchain Sinn macht, ist es, digitale Werte zu verschicke wie bei Bitcoin. Bitcoin ist immer noch das größte und relevanteste Kryptowährungs- und Blockchainprojekt. Über 40 Prozent des Wertes von allen Kryptowährungsprojekten (über 1.500) zusammen entfallen auf Bitcoin. Es gibt die Seite coinmap.org, die Ladengeschäfte auf der ganzen Welt listet, die Bitcoin als Zahlungsmittel akzeptieren. Da sind über 10.000 Einträge und ich würde mich wundern, wenn es 500 Läden gibt, die mehr als Bitcoin akzeptieren. Bitcoin ist die digitale Leitwährung.

Aber was ist das Motiv der Altcoins? Ich möchte die Exoten besser verstehen lernen. Zum Beispiel: Z-Cash hatte eine Marktkapitalisierung von 600 Millionen Dollar. Oder Tether, EOS, Cardano, BitConnect, Waves, Stratis, ArctPopulus, Steam. Sind das eher Währungen oder Treibstoff für weitere Blockchains, auf denen etwas betrieben werden soll? Wieso haben diese Projekte eigene Währungen?

Nehmen wir ein Beispiel: „Wir wollen Speicherplatz tauschen.“ Ich habe auf meinem Laptop Speicherplatz, mehr als ich brauche. Also könnte ich den doch über ein Netzwerk vermieten an jemanden, der seine Daten als Backup verschlüsselt drauf speichert. Dann kommt die Idee: „Wir machen ein Netzwerk aus diesen Computern und das wird eine dezentralisierte Cloud“. Und dann kommt das Marketing: „Wir schaffen jetzt noch einen eigenen Coin, mit dem die Verrechnung des Speicherplatzes stattfinden soll.“

Das ist aktuell eine super Möglichkeit, Geld zu verdienen statt zu sagen: „Ich werde dann doch wieder die zentrale Börse oder der zentrale Umschlagplatz, den Bitcoin ja eigentlich abschaffen will.“. Und dann sagt man noch: Wir schaffen die Intermediäre ab, die teure Gebühren nehmen. „Buy the rumors, sell the news“. Kaufe die Gerüchte und verkaufe die tatsächlichen Nachrichten. Das sieht man in der Kryptoszene ständig.

Wir sehen dieselbe Idee fünf, sechs, sieben Mal. Die meisten dieser Projekte haben noch nicht mal den Status erreicht, dass sie ein Produkt haben. Aber sie haben schon mal Werbung gemacht und ihre Vision verkündet und das hat das Interesse von Spekulanten angezogen und deswegen haben sie Geld.

Warum hat Facebook noch keinen eigenen Altcoin?

Weil es keinen Sinn macht. Es gibt ja auch Ideen von Russland für einen E-Rubel. Dafür braucht man kein Bitcoin und die Blockchain, das würde mit zentralen Datenbanken funktionieren. Und für Facebook wäre es auch leicht zu sagen: „Wir führen einen Facebook-Coin ein, den könnt ihr euch als Nutzer einfach hin und her schicken und sichern das über unsere Rechenzentren ab.“

Das gibt natürlich auf der einen Seite finanzrechtliche Konsequenzen, Banklizenzen und so etwas. Die zweite Frage ist aber: Warum sollte ich als User das nutzen? Der Vorteil bei Bitcoin ist ja, dass es keine zentrale Institution gibt, die sagen kann: „Ich halbiere den Wert dieser Coins oder ich vervielfache ihn oder ich manipuliere ihn in einer gewissen anderen Weise“. Es gibt eben keine zentrale Institution, die kontrollieren oder manipulieren kann, wer mit wem interagiert. Will ich, dass meine Finanzdaten bei Facebook liegen? Eher vorstellbar ist, dass Facebook selber, als Firma, handelbar wird über eine Blockchain. Also Facebook-Anteile, die digitalisiert sind, in Form eines Tokens, der Blockchain-basiert gehandelt wird. Dieser Handel würde dann dezentral stattfinden.

Spannend. Es gibt Steemit.com, ein Netzwerk, wo die Leute mit dem Posten auch Geld verdienen sollen. Das umgedrehte Prinzip von Facebook, sprich, es gibt ein dezentrales soziales Netzwerk und die Leute verdienen dort als User selbst mit dem Posten Geld.

Klingt lustig, funktioniert aber nicht. Warum haben die eine eigene Währung? Man schafft nicht einfach so eine neue Währung, das funktioniert nicht. Es gibt auch Leute, die behaupten auf steemit hat jemand 3000 Dollar mit einem Post verdient. Das ist gefälscht. Da wird spekuliert mit der Währung. Auf anderen Börsen gibt es überhaupt keinen Anreiz, die Steem-Dollar zu kaufen. Alle wollen nur verkaufen, wenn ich mit meinem Blockpost 10 Steem-Dollar bekomme, dann verkaufe ich die natürlich, um mir einen Döner zu kaufen. Aber wofür soll ich mir Steam-Dollars kaufen? Damit kann ich ja nichts machen.

Viele Beispiele, die Sie nennen, sprechen gegen Vertrauen. Die sprechen für Raubrittertum, die sprechen für Sinnlosigkeit, die sprechen von Spekulationen, von Betrug. Wie kann man dann Vertrauen in ein dezentrales System haben?

Man muss unterscheiden zwischen Bitcoin und dem Hype-Begriff Blockchain. Der „Peak of inflated expectations“ ist überschritten bei dem Begriff Blockchain. Die nächste Sau, die gerade durchs digitale Dorf getrieben wurde, ist der ICO, das „initial coin offering“. Das ist kein eigenes Blockchain-Projekt, sondern ein Token, der zum Beispiel auf der Ethereum-Blockchain läuft, mit dem man Speicherplatz zum Beispiel vermieten kann oder andere Dinge dezentralisieren. Diese ICO haben vierstellige Prozentzahlen an Gewinn erzeugt, ohne dass dabei ein Produkt entstanden ist, bis dann die ersten Staaten gesagt haben: „Verkauft ihr hier nur eine neue Form von Geld, dann müssen wir das dringend regulieren.“. Dann sind die ersten Kurse schon wieder eingebrochen.

Oder die Gründer haben sich zerstritten, weil sie auf einmal auf 200 Millionen Dollar saßen und dann gab es persönliche Animositäten. Die Regulierer haben dann gesagt: „Wir wissen nicht, wie das gesetzlich einzuordnen ist, wenn man an einem ICO teilgenommen und da Tokens gekauft hat. Es kann sein, dass das einfach eine Spende war.“ Das man gar kein Anrecht darauf hat, diese Tokens zu bekommen.

Betrüger und Kriminelle sind da dann auch mit dabei, um Reibach zu machen. Man muss das von Bitcoin trennen. Die Bitcoin-Blockchain läuft seit neun Jahren und sie macht das sehr solide und es gibt einen Bedarf dafür.

Technologie verkommt leider oft zu Schlagworten. So wie Big Data oder Industrie 4.0 durchlaufen sie einen Zyklus, bevor sie wirklich anwendbar werden. Dazu kommt, dass staatliche Regulierung wie ein Damoklesschwert über der Kryptoökonomie schwebt. Ich bin mir nicht sicher, ob der Schutz privater Investitionen tatsächlich der Grund dafür ist oder ob man nicht auch die Technologie an sich als eine Bedrohung ansieht, weil sie unkontrollierbar ist,

Auf jeden Fall. Das ist der Vorteil der Dezentralität zum Beispiel von Bitcoin. Dass man nicht sagen kann: Die zentralen Server sitzen in Deutschland oder in den USA oder in einem afrikanischen Land. Jedes Land kann nur im eigenen Hoheitsgebiet regulieren.

Bitcoin existiert im Internet und es ist überall dort, wo Internet ist. Als zum Beispiel in China Krypto-Börsen schließen mussten, ist das Handelsvolumen nach Japan und Korea abgewandert. Das sieht man oft, wenn Staaten sagen: „Wir finden das nicht so toll. Wir ziehen die Gesetze an.“ Dann gab es andere Länder, die gesagt haben: „Wir finden das cool. Wir würden gerne einen Krypto-Hub bei uns gründen. Kommt, gründet euch bei uns.“. Zypern, die Schweiz, Estland, Großbritannien. Es gibt eine gewisse Bedrohung durch Bitcoin. Es kann die Machtverhältnisse verschieben.

Gleichzeitig aber auch Geld und Zeit sparen. Geld, dass von Deutschland in die USA geschickt werden soll, ist nicht eine Woche unterwegs ist und kostet keine 10 Euro Gebühren. Es ist egal, ob jemand neben mir steht oder 10.000 Kilometer entfernt ist. Die Transaktion geht immer über das Bitcoin-Netzwerk und braucht immer gleich lang. Und kostet gleich viel. Daraus ergeben sich Geschäftsmodelle.

Es gibt eine sehr beeindruckende weltweite Zahl von Wanderarbeitern, die circa 540 Milliarden Dollar in Ihre Heimat schicken.Wenn nur 10 Prozent davon Gebühren sind, dann sind das 60 Milliarden US-Dollar nur um Geld von A nach B zu schicken. Das ist eine Zahl, die um ein vielfaches höher als das Brutto-Inlandsprodukt von den Ländern ist, wo das Geld hingeht. Alleine, dass es möglich ist, diese Länder mit einem einigermaßen günstigen Finanzstrom zu versorgen, ist quasi eine Form der Entwicklungshilfe.

Kommen wir nochmal auf Ethereum zurück. Ich finde die Idee, direkt automatisierte Verträge mit anderen abschließen zu können sehr inspirierend. Wenn ich App-Entwickler wäre und eine App entwickele, muss ich die nicht über Apple und Google verkaufen und 20-30% weniger einnehmen. Und es sind ja über 500 der Schwergewichte der IT-Industrie in der Ethereum Foundation. Kann daraus nicht eine Art Web 3.0 entstehen?

Ethereum würde ich auch nicht als Blase bezeichnen. Genauso wenig, wie ich Bitcoin als Blase bezeichne. Vom Konzept ist das schon sehr interessant: Wir haben eine Blockchain. Und wir ermöglichen darauf komplexere Vorgänge als bei Bitcoin, wo es tatsächlich nur um Transaktionen geht. Doch das geht auch zu Lasten der Sicherheit. Je komplexer ein System, desto fehleranfälliger wird es. Die Frage ist, ob sich das vereinbaren lässt mit Dezentralität. Durch die Komplexität der Vorgänge brauchen die Verträge auf der Etherium Blockchain mehr Speicherplatz. Sie wächst damit schneller als die Bitcoin-Blockchain und die ist ja schon teilweise am Rande ihrer Kapazitäten. Aber sie arbeiten an Lösungen für diese Probleme.

Zum Interesse der Unternehmen an Ethereum: Das ist ein Ritterschlag und auch eine Absicherung für Ethereum, dass es nicht von heute auf morgen verschwinden wird. Hier ist die Frage, ob am Ende das System nur von Allianzen wie dieser benutzt wird, um bestehende Prozesse effektiver zu gestalten? Das ist schon komisch, wenn sich die Intermediäre, die abgeschafft werden sollten zusammenschließen und sagen: „Wir nutzen jetzt Ethereum.“. Was ist die Motivation? Wollt ihr ein Welt-Computer-Netzwerk unterstützen, wo es keine Intermediäre gibt? Oder wollt ihr euch einen guten Platz sichern und Standards durchsetzen, die euch weiterhin unverzichtbar machen?

Wir dürfen das nicht verwechseln mit dem, was Bitcoin macht, dass es die Bank als solches überflüssig macht. Oder: Banken wird es auch in Zukunft noch geben aber sie werden halt andere Aufgaben erfüllen. Die werden schon noch unser Geld verwalten, aber nicht mehr die Hoheit darüber haben. Die wird der Kunde haben.

Ethereum ist ein wichtiger Baustein für die Kryptoökonomie. Aber ob es auf der Innovationsebene tatsächlich so einen großen Einfluss haben wird wie Bitcoin, ist zumindest noch nicht erkennbar. Bitcoin wird immer so abgetan mit „Ja, man kann da nur Geld drüber verschicken. Das ist ja irgendwie okay, langweilig.“ Aber: Geldtransaktionen sind einer der wichtigsten Bausteine unserer Gesellschaft. Keine Branche, kein Teil unseres Lebens kommt ohne aus. Alles hängt von Geld ab und das muss von A nach B geschickt werden. Wenn sich das grundlegend verändert, alleine die Wahrnehmung der Möglichkeiten, dann wird sich die Gesellschaft grundlegend verändern. Ethereum wird vielleicht eher die Wirtschaft verändern.

Zahlen wir in zehn Jahren mit TenEx, der ersten Krypto-Kreditkarte bei Edeka und kaufen wir Apps direkt vom Nachbarn im Ethereum-Browser Mist, ohne dass Visa, Apple oder Google daran mitverdienen?

Ja, aber das wird keine zehn Jahre dauern, denke ich. Wenn man sich anguckt, was in den ersten neun Jahren passiert ist, wobei die ersten zwei, drei Jahre bei Bitcoin ja mehr oder weniger komplett unter dem Radar waren, dann wird sich da einfach ganz schnell, ganz viel verändern. Es gibt Kreditkarten, die man einfach mit Bitcoin auflädt und mit denen man überall auf der Welt bezahlen kann. Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass Bitcoin nicht komplett konträr gegenüber den bisherigen Zahlungsmitteln ist, sondern dass es vielmehr eine Erweiterung unseres Finanzsystems ist mit Funktionen, die wir bisher nicht kannten.

Dazu gehört auch, dass Maschinen automatische Finanztransaktionen für uns erledigen. Da gibt es ja auch schon die ersten Projekte, die eine Bitcoin-Wallet oder eine Krypto-Wallet direkt im Browser integrieren. Wenn ich damit zum Beispiel auf eine Webseite gehe und Texte lese, dann wird buchstabengenau und automatisch im Hintergrund abgerechnet, was ich gelesen habe.

Dafür muss ich mich nicht registrieren oder ein Monatsabo für das Handelsblatt oder die Süddeutsche Zeitung abschließen. Diese Idee gibt es auch für Videos oder Musik. Das Geld geht direkt an den, der den Content bereitgestellt hat und an den Urheber. Oder andersherum: Wenn ich irgendwo einen Kommentar schreibe, der eine gewisse Anzahl Likes bekommt, dann werde ich auch entlohnt dafür oder ich gucke mir freiwillig Werbung an und kann so meine digitale Wallet im Browser wieder aufladen. Wir werden in Zukunft automatisch und im Mikrocent-Bereich viel häufiger vor allem digitale Inhalte bezahlen. Alles wird einfacher.

Herr Brenneis, vielen Dank für das Gespräch!