Wer an Griechenland denkt, hat die Krise oder blau-weiß gekalkte Häuschen im Kopf. Wie geht es Hellas heute? Ob gutes Essen, viele Sonnenstunden oder ein Staat vor dem Kollaps, Griechenland löst Emotionen aus. Vor allem auch in Deutschland, wo viele Griechen seit Jahrzehnten leben. Katrin Tewes aus München, deren Vater selbst Grieche ist, hat eine besondere Verbindung zu dem Land. Und zu seinen Designtalenten. Seit Juni 2016 betreibt sie den Lemoni-Shop, der handgemachte Produkte mit ästhetischem Anspruch aus Griechenland vertreibt. NEW-D sprach mit der Macherin über das Projekt und die aktuelle Lage der Hellenen.

Wie kamen Sie auf die Idee, Produkte griechischer Designer online in Deutschland zu verkaufen und sie damit bekannter zu machen?

Ich habe lange Jahre als Art-Direktor in der Werbung gearbeitet, und gutes Design und schöne Dinge waren immer mein Faible. Zum anderen bin ich ein extrem von Fernweh geplagter Mensch. Mein Drang ist es, zu reisen, fremde, wärmere Länder zu entdecken. Insbesondere Griechenland ist meine große Liebe. Weil mein Vater Grieche ist, verspüre ich eine ganz besondere Verbundenheit mit diesem Land. Seitdem ich denken kann, war ich eigentlich mindestens einmal im Jahr dort. Nirgendwo ist das Meer blauer und die Lebensfreude ausgeprägter.

Und ich fand immer schon, dass die Griechen ein besonderes Händchen für Grafik-Design und Design im Allgemeinen haben – und schon früh das Potenzial von Design und Kreativität als ökonomischen Faktor erkannt haben. Wie z.B. auch in England oder Südafrika gibt es im Supermarkt Alltagsprodukte, die einfach gut gestaltet sind. So hat meine Geschichte eigentlich mit der Kosmetik Marke Korres angefangen, die früher noch nicht in Deutschland erhältlich war und die wir immer im großen Stil importiert haben.

Die eigentliche Idee, diese „Urlaubsmitbringsel“ in einem Shop zusammenzufassen, entstand dann eines Abends mit Freunden zusammen. Da ich selbst ein unverbesserlicher Online Shopper bin und vor allem Mode schon seit Jahren, außer im Urlaub, nicht mehr in einem stationären Laden gekauft habe, stand gleich fest, dass es ein Online Shop sein sollte. Was mich gleich zu dem für mich persönlich überraschendsten Learning führt: Online einzukaufen ist keinesfalls für alle Leute so selbstverständlich, wie ich dachte. Gerade die Kunden aus München entdecken Sachen bei mir online oder auf Facebook, kaufen sie dann aber bei mir im Laden. Ich habe gerade wieder einen Pop-Up Store bis Ende des Jahres in München-Schwabing.

Etwas anderes, mit dem ich nicht gerechnet hatte: Ein nicht unerheblicher Teil meiner Kunden kommt aus dem Ausland. Und das, obwohl es noch gar keine englische Version meiner Seite gibt.

Wie erleben Sie die Krise in Griechenland? Wenn man auf den Inseln unterwegs ist, merkt man manchmal gar nicht so viel davon. Ist es in den Städten anders?

Während auf den Inseln dank Tourismus zum größten Teil wieder „business as usual“ herrscht, merkt man in den Städten und Dörfern die Krise schon wesentlich deutlicher. In Thessaloniki – mehr noch als in Athen – scheint jedes zweite Geschäft leer zustehen. Alles ist zu vermieten oder zu verkaufen, selbst in großen Einkaufsstraßen in der Innenstadt herrscht teilweise gespenstische Leere. In Athen prägen vor allem die langsam zerfallenden Hausruinen – leider immer die schönen, alten Häuser – das Stadtbild. Und natürlich das allgegenwärtige Graffiti. Geld für Sprühdosen scheint es also noch zu geben… Aber Spaß beiseite.

Mich erstaunt es ehrlich gesagt, woher die Griechen die Kraft nehmen, trotz fehlender Perspektiven und bei den katastrophalen politischen Verhältnissen und den ganzen Schwierigkeiten und Absurditäten, welche die hanebüchene Regierung dem Volk aufzwingt, jeden Tag aufs Neue aufzustehen und weiterzumachen. Und dabei nicht die Lebensfreude zu verlieren. Stattdessen erfinden sie sich und ihre Umgebung neu. Viele der Firmen aus meinem Shop sind gerade in den letzten Jahren, aus der Krise heraus, entstanden. Sie stehen für absolute Kreativität und ein großes Qualitätsbewusstsein. Zum Teil ist auch Nachhaltigkeit ein großes Thema. Oder sie setzen sich für die Wiederentdeckung bzw. Aufrechterhaltung traditionellen Handwerks ein.

Im Kreise meiner Familie schaut es leider düsterer aus. Die Oma aus dem aussterbenden Dorf soll plötzlich von ihrem nicht vorhandenen Einkommen Grundsteuer für ihre völlig wertlose Immobilie zahlen und versinkt in Bürokratie wegen einem Gemüsefeld, das ihr verstorbener Mann – mein Opa – hinterlassen hat. Meinen beiden Cousinen, klassische Akademikerinnen, ausgebildet bis unter die Zähne, mehrsprachig, Richterin und Professorin, werden die Gehälter quasi monatlich weiter und weiter gekürzt. Vor allem die Richterin arbeitet unter mehr als abenteuerlichen Bedingungen. Generell verlässt die gut ausgebildete Elite, vor allem aus den eher tradierten, „altmodischen“ Berufen (Arzt, Anwalt, Ingenieur, Wissenschaftler etc.) das Land, weil sie einfach keine Perspektive sehen.

Ein großes Problem ist auch der Ausverkauf des Landes. Die von der EU geradezu erzwungenen Privatisierungen von wichtigen Firmen oder Immobilien, Flughäfen, oder Häfen. Die Griechen müssen dann ihr ehemaliges Eigentum teuer zurück mieten, so dass die Pacht den Erlös aus den Verkäufen in wenigen Jahren schon übersteigt. Dann ist da noch das Problem der Flüchtlinge, die auf allen Wegen ins Land hereinkommen, wo die Griechen doch kaum für sich selber sorgen können. All das führt dazu, dass sich der Alltag in Griechenland verändert hat.

Im Dorf meiner Oma hat z.B. früher niemand die Türen abgesperrt. Diesen Sommer hatten wir gerade Obst von einem der Pickups gekauft, die immer mit Megaphon durch die Dörfer fahren. Eine Melone blieb vor der Türe auf der Schwelle, während wir den Rest reingetragen haben. Als wir wieder rauskamen, war die Melone weg – geklaut. Und das ist noch die netteste Anekdote in Sachen Diebstahl aus dem Dorf meiner Oma.

Insofern habe ich das Glück mit meinem Shop etwas Gutes zu tun: Griechenland und in Griechenland gefertigten Produkten im Ausland eine Chance zu eröffnen.

Viele Griechen erfinden sich neu. Was als Kleingewerbe im Land anfängt, kann später groß werden. Wie sehen Sie die Chancen durch die Digitalisierung für die Griechen selber aber auch für Ihr eigenes Geschäft?

Die Digitalisierung ist meiner Meinung nach gerade für weniger weit entwickelte Länder eine große Chance, ihre Zielgruppe zu erweitern und Menschen zu erreichen, an die sie „vor Internet“ nie hätten verkaufen können. Einige Firmen, mit denen ich zusammenarbeite, sind in dieser Beziehung schon sehr weit. Sie werden „gefunden“ durch Social Media, vor allem Instagram. Und so verkauft eine „2-Mann-Firma“ aus Athen plötzlich nach Mexiko, Uruguay und Korea. Und eine Mutter, die griechische Sandalen als erste mit Pompoms und Bändchen verziert hat, hat ihren Familienbetrieb zu einem richtigen Unternehmen ausgebaut, das in alle Welt verkauft und fast 65.000 Abonnenten auf Instagram hat. Aber gerade Länder außerhalb Europas scheinen hier viel offener zu sein, für neue, kreative Entdeckungen aus dem Internet.

Hierzulande finde ich, ist eine bekannte Marke/ein Statussymbol leider immer noch viel zu wichtig in der Kaufentscheidung. Und wie schon erwähnt, der für meine Begriffe eher zaghafte Umgang mit dem Thema Online Shopping.

„Von Menschen statt von Konzernen kaufen“ lautet Ihr Motto. Warum sieht man von den Produzenten bisher kaum etwas? Deren Geschichten sind doch sicher spannend.

Die Antwort ist leider ganz einfach: Aus Zeitmangel habe ich es bisher noch nicht geschafft, meine Notizen und Geschichten zu einem Blog zusammenzutragen, der eigentlich von Anfang an als fester Bestandteil meiner Seite und meines Shoppingerlebnisses geplant war. Meine Seite soll in Zukunft nicht nur ein Shop sein, sondern auch wirklich Einblicke in das echte, moderne Griechenland geben. Und Seiten des Landes zeigen, die man bisher noch nicht kennt. Um wieder zur Grundlage meiner Idee zurückzukommen: Griechenland hat ganz großartige Produktdesigner, Modefotografen, Architekten oder Grafikdesigner. Insbesondere auch die Gastronomie- und Hotelarchitektur ist schon seit Jahren top. Dieser Kreativität möchte ich eine Plattform geben.

Denn gerade das Netz ist extrem skandinavisch dominiert. Man bekommt manchmal den Eindruck alles ist schwarz-weiß-rosa und hellgrau. Nichts gegen Skandinavien, ich bin ein großer Fan vor allem der Möbel. Aber ich denke auch andere Länder haben etwas zu bieten und eine Chance verdient. Und mein Steckenpferd ist nun einmal Griechenland.

Ihre Lieferungen aus Griechenland müssen Sie manchmal aus LKWs an Autobahnabfahrten oder in griechischen Restaurants abholen. Was war das komischste Erlebnis, seit Sie Lemoni betreiben?

Mittlerweile arbeite ich fest mit einer Spedition zusammen, bekomme aber auch Sendungen mit DHL und UPS. Aber es stimmt, gerade ganz am Anfang – um Kosten zu sparen, wurden sämtliche noch so entfernte Bekannte und Verwandte als Kuriere hinzugezogen. Das lustigste Erlebnis war eigentlich gleich ganz am Anfang.

Mein Vater gab mir Bescheid, meine Lieferungen wären im Café – nennen wir es mal Odysseus, in einem Münchner Vorort angekommen. Ich hatte mir extra den großen Kombi von meinem Mann ausgeliehen, ihn ausgeräumt, den Kindersitz ausgebaut, alle Sitze umgeklappt. So fuhr ich mit großen Erwartungen zu besagtem Café. Ein holzverkleideter Raum im 60er Jahre Look, mit Holzbar. Total ungriechisch, aber befüllt mit einem ketterauchenden, ausschließlich männlichem Publikum in eher fortgeschrittenen Alter. Die Gespräche verstummten augenblicklich bei meinem Eintreten.

Wahrscheinlich war das Café eine Art Kafenion Ersatz und Frauen dort absolut nicht die Regel. Ich fragte vorsichtig nach meinen Lieferungen. Den großen Kombi hatte ich extra nah an die Türe auf den Gehweg gefahren. Der Patron kam schließlich aus dem Untergeschoss mit einem sehr kleinen Karton Honig wieder, den er mir bis zum Auto trug. Da lag nun die Grundlage für meinen Online Shop, klein und verloren auf der großen Ladefläche des Kombis.

Die Sache mit den Überraschungsmomenten bei den Lieferungen zieht sich seitdem aber wie ein roter Faden durch. Oft fehlen bereits angekündigte, sehnlichst erwartete Bestellungen. Dafür bekomme ich aber hin und wieder Orangen frisch vom Baum, wild gewachsene Granatäpfel oder eine riesige Wassermelone.

Frau Tewes, vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg mit Lemoni!

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