Ob Netflix, YouTube oder Mediatheken – Bewegtbild im Netz boomt. Doch was ist aus den Kinos geworden?

Während es früher auf dem Steindamm oder auf St. Pauli mehrere Kinos pro Straße gab, sind es heute noch gut 20 in ganz Hamburg. Sechs Multiplexe von UCI oder Cinemaxx und 13 Programmkinos buhlen um die Gunst der Hamburger. Alleine sieben Kinos betreibt Hans-Peter Jansen mit seiner Frau Lydia, das Neueste ist ein Inselkino mit Verzehr auf Fehmarn. Wir treffen uns vor dem Blankeneser Kino, welches 1999 total renoviert wiedereröffnet wurde. Ein Gespräch über den besonderen Reiz des Stadtteilkinos, die Geschichte des Kinos in Hamburg, die Digitalisierung der Vorführtechnik und über die Zukunft des Programmkinos.

Herr Jansen, wie sind Sie zu Ihren sieben Kinos eigentlich gekommen? Wie hat alles angefangen?

Wir waren fünf Freunde, haben studiert und fanden das Kinoprogramm schlecht. In den 70er Jahren ist das Arthouse-Kino in Deutschland aufgekommen. Wir waren ein Teil davon und haben ein Kino gemietet, um das zu spielen, was uns selber gefällt. In Hamburg Eidelstedt haben wir angefangen und nannten das Kino „Alabama“ nach dem Song von Lynyrd Skynyrd, weil wir das amerikanische Kino mochten. Nach einem Jahr waren wir nur noch zu zweit, weil die anderen festgestellt haben, dass man zwar befreundet sein kann, aber Geschäfte zusammen zu machen, das ist doch etwas Anderes. Wir zeigten das, was uns gefällt, aber wir haben natürlich bemerkt, dass da auch Kosten waren, die bedient werden mussten, deswegen haben wir unsere Filme dann ins Spätprogramm verlegt.

Das war Punk, Subversives, Buttgereit, Schlingensief, Trash und Porno. Wir hatten Kunstaktionen mit Eintrittskarten aus getrockneten Schweineohren mit Kunstblut. Die schönste Veranstaltung war mit einem Herrn Euler, der hatte eine Partei gegründet und sprach wie Erich Honecker. Da haben wir im „Alabama“ eine Wahlveranstaltung gemacht mit einer Girlband, die hieß „Liedertafel Margot Honecker“.

Der letzte Film lief dort im Dezember 1992, das war „The Last Picture Show“ von Peter Bogdanovich. Ich wollte dann in keine kinolose Zeit fallen und habe Anfang Januar 1993 das „Fama“-Kino in Lurup übernommen und habe da ein ähnliches Programm gefahren. Das erste Konzert in diesem Haus spielten Tocotronic vor 50 Leuten. Das Merchandise, was sie dabei hatten, waren drei T-Shirts und Fix und Foxi-Hefte. Wir hatten auch Rocko Schamoni oder „Die Sterne“ da. 1996 kam das „Elbe“-Kino dazu, 1999 Blankenese, 2002 die „Koralle“ in Volksdorf.

Blankeneser-Kino

„Die Koralle“ war eine spannende Geschichte: die alte „Koralle“ hatte 1999 geschlossen und seitdem gab es kein Kino mehr in einem Stadtteil mit 20.000 Einwohnern. In einer Unterschriftenaktion wurden 16.000 Unterschriften gegen die Schließung gesammelt. Das nützte aber nichts. Dann bekam ich einen Anruf von zwei Volksdorfer Bürgern, ob ich nicht mal kommen kann zum Gespräch über den Neubau eines Kinos. Eigentlich wollte ich nie wieder in den Osten, ich bin Hamburger und auch im Osten geboren, wollte aber immer nur etwas im Westen machen. Dann haben die Volksdorfer einen Verein gegründet und eine Stiftung und nach vielen Aktionen waren 700.000 DM für die Anschubfinanzierung zusammen. Das war einmalig, so etwas hatte es noch nie gegeben in Deutschland. Heute gehört das Volksdorfer Kino nach der Pro-Sitz-Auslastung zur Top 10 in Deutschland. Das liegt an der hohen Identifikation der Einwohner mit dem Kino, die haben das sozusagen selbst wiederaufgebaut. Am 6. Juni 2002 hat Ole von Beust die neue „Koralle“ eröffnet.

2006 kam dann Bargteheide, 2009 ein Verzehrkino in Plön. In der Filmbranche hat sich jetzt rumgesprochen, dass der Jansen immer nach drei Jahren ein neues Kino braucht. Wir benötigen tatsächlich immer so drei Jahre, um ein Kino richtig aufzustellen.

In den 80er Jahren wollte ich das „Studio“-Kino auf St. Pauli haben. Damals kam Hans Joachim Flebbe mit Arthouse nach Hamburg, der das Cinemaxx gegründet hat und jetzt unter anderem das „Savoy“ am Steindamm macht und das „Holi“ an der Hoheluftbrücke. Die andere Kette war die UFA mit Herrn Riech, die hat nur Mainstream gemacht. Der wollte auch ein Arthouse-Kino und hat mit der UFA den Zuschlag für das „Studio“ bekommen. Wir waren damals einfach nur zwei Kinopunks. 2008 ist das „Studio“ geschlossen worden, weil es keiner geschafft, es richtig zu betreiben. 2010 ruft mich ein Freund an und fragt mich „Hans-Peter, willst du ein Kino in Hamburg übernehmen?“ Dann kam es zu einer legendären Begegnung in der Bernstorffstraße. Ich stand dort mit meiner Pudelmütze und einer alten Aktentasche, guckte mir die Immobilie an die voll mit Graffitis war und kaputt vom Vandalismus. Dann kam ein goldfarbener Rover Cabriolet mit einem Typ, Anfang 40, braungebrannt, kurze Haare, Handy am Ohr und eine dicke Uhr am Arm. Und ich dachte „Das wird nie was…“. Dann steigt er aus und und ich sage, „Herr … sind sie das?“ Er so „Ja“, und sagt „Geile Mütze!“.

Dann schauten wir uns das Kino an, das war voll Wasser, kein Equipment drin, nur die Stühle gingen noch einigermaßen. Dann haben wir zwei Stunden in einem Café um die Ecke gesprochen und er fragt mich am Ende „Wollen Sie es haben?“ Nachdem ich mit meiner Familie gesprochen habe und eine Nacht darüber geschlafen habe, habe ich „Ja“ gesagt und so wurde das „Studio“ zur Ausnahme in meinem Drei-Jahresrhythmus. Ein polnischer Designer und ein ukrainischer Künstler haben die Ausstattung und das Design gemacht. Alles ist neu renoviert worden.

Letztes Jahr kam dann Fehmarn dazu. Eine Frau, die Tochter einer alten Fehmarner Kaufmannsfamilie, rief mich aus Hongkong an und fragte, ob ich das betreiben möchte. Ich kannte das Kino aus dem Urlaub, weil ich nur in Orte fahre, die ein Kino haben. Ich bin mit meinem Sohn, der ist 27, hingefahren und wir haben gesprochen und seit dem 17. März habe ich auch ein Inselkino. Als Norddeutscher, wollte ich so etwas immer machen. Hier finde ich meine Ruhe, auf den Inseln, Ruhe die mich inspiriert. Ich bin der erste Nicht-Insulaner auf Fehmarn, der ein Kino macht.

Blankeneser-Kino-3

Was treibt Sie an, Kino zu machen? 

Ich stehe hinter 85% der Filme, die ich zeige. Mir geht es um das Kino als Ort des Treffens, 90 Minuten im Dunkeln anonym, aber doch nah mit anderen zusammen etwas zu erleben. Ich vermittele dem Publikum mit den Filmen meine Gefühle. Wo ich lache, wo ich traurig bin. Die Entscheidung, ob ich ein Kino übernehme, trifft bei mir immer der Bauch. Dann trägt der Kopf es auch mit. Kommt im Bauch nichts an, mache ich es auch nicht. Jedes Kino ist komplett anders, hat einen eigenen Charme. Ich mache das nicht, um reich zu werden, mir geht es um die Erhaltung der Kinokultur in den Stadtteilen. Wir stehen überall in engem Kontakt mit den Schulen der Stadtteile, auch der Kirche. Die Leute im Stadtteil wissen, wann wir da sind, wir verkaufen ja selber noch Karten und sind regelmäßig vor Ort.

Kommen wir zur Digitalisierung des Kinos. Auf der einen Seite ist der Betrieb digital geworden, auf der anderen Seite gibt es Open-Air Events wie „Netflix and Chill“ auf der Trabrennbahn. Ist das Kino bedroht?

Open Air ist für mich kein Kino, das ist ein Bratwurst-Event. Ich sehe das klassisch: ein Kino ist ein Ort mit Architektur, ein Raum, aus dem man nicht flüchten kann, wo man sich nicht ablenkt, sondern sich 90 Minuten im Dunkeln auf etwas einlässt. Wenn es spannend ist im Kino, dann gehst du nicht raus, dann guckst du nicht aufs Smartphone. Bei allen anderen Portalen kann man sich ablenken. Im Kino geht das nicht. Der entscheidende Aspekt ist für mich der Raum, die Gemeinsamkeit im Dunkeln. Ich bin kein Feind der Multiplexe, die haben auch eine wichtige Funktion, weil sie junge Leute überhaupt ins Kino bekommen. Auch die Serienkultur ist nichts Schlechtes, sie schafft Zugang zur Filmkultur. Stadtteilkinos haben aber auch eine wichtige Funktion, denn die ganz Kleinen, die sechs oder sieben sind und zum ersten Mal ins Kino gehen, die können bei uns von den Eltern an der Kasse abgegeben werden, die geben ihre Kinder nur im Stadteilkino ab, die würden das nie im Multiplex machen. Wo man seinen ersten Film im Kino gesehen hat, daran wird man sich immer erinnern, aber daran, auf welchem Portal man welche Serie gesehen hat, sicher nicht. Bis 10, 11 gehen die Kleinen ins Stadtteilkino, dann verschwinden sie in die Multiplexe, mit 35 kommen sie dann wieder in die Programmkinos. Ich habe auch „Fack ju Göthe 2“ gezeigt, das hat gut funktioniert, da kamen 17-jährige zum ersten Mal mit ihren Eltern zusammen ins Kino.

Digitalprojektor

Merkt man, dass sich Streaming auf das Kino auswirkt oder ist der Umsatz über die letzten 15 Jahre stabil geblieben?

2015 war das beste Kinojahr, das Deutschland je hatte mit Filmen wie „Honig im Kopf“, „Frau Müller muss weg“ oder „Er ist wieder da“. Ein gutes Kinojahr ist immer dann, wenn du einen hohen nationalen und europäischen Anteil an Filmen hast. In unseren Kinos haben wir im letzten Jahr ein Plus von 18% gemacht. Das ist ein gutes Zeichen.

2001/2002 begann die große Krise in der Musikbranche. Gibt es beim Kino keinen Moment in den letzten Jahren, wo man merkte, das sich etwas verändert hat?

Das ist wirklich schwierig zu sagen. Natürlich war die Digitalisierung der Kinotechnik, die wir 2012/2013 machen mussten, schmerzhaft. Das war eine hohe Investition, durch die erstmal kein Besucher zusätzlich kommt. Die großen amerikanischen Studios haben das durchgesetzt, die wollten keine Filmrollen mehr und haben auch dafür gesorgt, dass die Digitalprojektoren ein Hochsicherheitstrakt sind, an dem man keine Schraube lösen kann, wegen der Angst vor Raubkopien. So ein Projektor kostet viel Geld, das ist für ein kleines Kino eine große Investition. Man braucht auch noch eine Klimaanlage, das sind dann schon an die 200.000 Euro. Die spielt man so schnell nicht wieder ein. Die Filme kommen jetzt in kleinen orangenen Köfferchen zu uns auf Festplatte, weil die Bandbreite noch zu gering ist, sie im Kino direkt runterzuladen. Der Server im Gerät hat 4 Terabyte-Speicher, da passen ungefähr 18 Filme drauf. Die Trailer und die Werbung werden schon direkt im Web runtergeladen. Dennoch ist die Digitalisierung gut.

Kino hat mehr Möglichkeiten durch Digitalisierung. Zum Beispiel sind nun Events, Live-Übertragungen oder Konzerte wie von KISS, Opern-Übertragungen möglich. Stellen wir uns mal die Wagner-Festspiele vor, da kommen viele nicht rein, weil die Karten zu teuer sind, aber wir könnten das im Kino übertragen. Mit alternativen Content kommt auch neues Publikum. In Korea gibt es Kinos mit Spielkonsolen, wo man auf der großen Leinwand spielt. Auch mit verschiedenen Sprachfassungen und Untertiteln ist man jetzt viel flexibler.

Was wird in Ihrer Branche gerade diskutiert?

Die letzten 10 Jahre war die Digitalisierung das Thema, jetzt geht es gerade um die Verkürzung des Auswertungszeitfensters, also der Zeitpunkt, wann ein Film nach der Kinopremiere auf DVD oder Digital verfügbar ist. Der soll von sechs auf drei Monate verkürzt werden, da laufen wir natürlich Sturm dagegen. Es gibt auch Vertreter, die sagen, mit Filmstart muss ein Film auf allen Medien gleichzeitig verfügbar sein.

Kann es nicht auch sein, dass sich gar nichts tut bei einer Verkürzung des Auswertungsfensters? Wir haben doch heute schon Multioptionalität bei den meisten Inhalten.

Ja, kann das kann auch sein. Das würde mir vielleicht gar nicht schaden. Wenn man das Haus so charismatisch macht, sich auf das Raumerlebnis konzentriert, dann kommen die Leute trotzdem zu uns. Es gibt auch Filme, die nur auf digitalen Portalen gestartet sind, davon sind viele gefloppt. Kino ist immer noch der Werbeträger. So wie bei Musikern die Tournee der Werbeträger geworden ist. Die Musikindustrie hat gelernt, mit Digitalisierung umzugehen, dem Kino steht das vielleicht noch bevor. Dennoch habe ich keine Angst, dass ich in 30 Jahren kein Publikum mehr finde. Was ich viel schockierender finde, wenn Kinder mit 12 noch nie im Kino waren.

Die EU-Kommission will 20% europäische Inhalte auf Netflix verordnen. Was halten Sie davon?

Schauen wir uns Frankreich an. Die schützen ihre Filmkultur. 25% der Filme im Kino kommen aus Frankreich und am Samstagabend zur Prime Time dürfen im Fernsehen keine Filme laufen, damit die Leute ins Kino gehen. Das ist praktizierter Artenschutz. Das finde ich gut.

Wie sieht es mit Online-Ticketing aus?

Da müssen wir den Standard der Multiplexe halten. Bei uns kam man online reservieren, online Tickets kaufen. Unser System ist sogar noch einfacher als das der Multiplexe. Wir machen mittlerweile ungefähr 15% unseres Umsatzes mit dem Online-Kanal.

Herr Jansen, vielen Dank für das Gespräch!

Beitragsfoto: www.franksiemers.com.

Newsletter abonnieren:

Blankeneser-Kino-2