Dr. Martin Oetting ist einer der profiliertesten Experten für Mundpropaganda-Marketing in Deutschland. Als Miteigentümer und Gesicht von „trnd“ hat er nach langen Agenturjahren den Abschied vom Marketing genommen, um jetzt der Frage nachzugehen, wie es um Politik & Gesellschaft heute steht. In seinem Blog „Kaffee & Kapital“ macht er sich auf die Reise, die immer stärker werdende politische Unruhe in den westlichen Demokratien und ihre Ursachen zu verstehen und öffentlich zu diskutieren.

2016 war ein unruhiges Jahr und vieles, was wir lange als gesetzt betrachtet haben, ist von Populisten oder Autokraten in Frage gestellt worden. Man spricht vom Angriff auf die liberale Demokratie oder von einer „post-westlichen Ordnung“. Du beschreibst deine Motivation zu „Kaffee & Kapital“ ausführlich. Was möchtest du mit dem Projekt erreichen?

Nach meinem Abschied aus dem Marketing wollte ich mich erst auf etwas ganz anderes konzentrieren: auf die Entwicklung eigener Zeichentrickfilme. Einen ersten sehr kurzen Film habe ich gezeichnet und fertiggestellt, mit dem zweiten angefangen. Aber ich komme aus einer sehr politischen Familie und habe deswegen zugleich immer damit gehadert, dass ich selbst nicht politisch aktiv bin. Nach der Trump-Wahl wurde der innere Druck dann so stark, dass ich ihm nicht mehr ausweichen konnte. Das Projekt „Kaffee & Kapital“ ist daher aus dem Bedürfnis entstanden, als politisch viel zu wenig gebildeter Mensch für mich selbst inhaltlichen Halt zu finden und diesen noch im Wahljahr 2017 in Wirkung zu übersetzen: in möglichst viele Gespräche online wie offline über eine bessere Politik, abseits der blödsinnigen Vorschläge von Rechtsaußen. Seitdem Martin Schulz jetzt für die SPD antritt, habe ich das Gefühl, als ob wir ohnehin eine breitere Debatte im Land dazu bekommen, wie sich unser Land verändern muss. Und so verschiebt sich inzwischen mein Fokus — hin zu den großen Herausforderungen der Menschheit: wahnsinnig gewordener globaler Kapitalismus, Umweltzerstörung, Automatisierung und Verlust von Arbeitsplätzen.

In meinem Umfeld erlebe ich ein immer stärkeres Bedürfnis, sich zu engagieren, auch in Parteien. Die weitestgehend liberale Tech-, Werbe- und Medienbranche steht unter Schock und reibt sich die Augen angesichts dessen, was gerade auf Welt passiert. Für die einen ist der Kapitalismus schuld, für die anderen die Globalisierung, für die nächsten Facebook-Filterblasen oder ein Kulturkampf. Was hat aus deiner persönlichen Sicht zu den heutigen Zuständen geführt?

Ich glaube, dass die Verbindung aus bedingungsloser Globalisierung — ohne Rücksicht auf die Menschen, die mit der Globalisierung ganz privat und persönlich nicht umzugehen wissen — und einem Kapitalismus, der im globalen Kontext alle Fesseln der Zurückhaltung und des Augenmaßes abwirft, zu den heutigen Zuständen geführt hat. Zugleich glaube ich aber auch an die kreative Schaffenskraft von Unternehmerinnen und Unternehmern. Wie wir diesen Widerspruch auflösen können, oder in konkrete Ideen für eine bessere Welt verwandeln, interessiert mich.

Auch die Medien üben sich in zaghafter Selbstkritik. Ich habe manchmal das Gefühl, dass auch Sprache und Haltung der Eliten Teil des Problems sind. Immer wieder wird von den „Abgehängten“, „Rückständigen“ gesprochen. „Wir müssen denen erklären, dass…“, „Die müssen verstehen…“ oder „Die müssen wieder das Gefühl haben,..“ Das klingt immer so nach Oberlehrer und kann als Bevormundung verstanden werden. Elisabeth Raether hat dazu einen guten Artikel geschrieben. Sind wir zu arrogant geworden?

Ob wir zu arrogant geworden sind, weiß ich nicht. Dafür fehlt mir objektives Wissen über das, was deutschlandweit wie zu wem gesagt wird. Dass wir zu getrennt sind, glaube ich schon. Und das hat auch mit den Social-Media-Plattformen zu tun. Mir scheint, dass sie nicht derart strukturiert sind, dass dort wirklich nachhaltiger Dialog und eine Verständigung zwischen unterschiedlichen Sichtweisen gefördert werden. Das kann im Offline-Leben sehr anders sein, denn der Gegenüber als echter Mensch aus Fleisch und Blut hat eine andere Wirkung. Mit einer Bekannten entwickele ich grade ein Projekt, das über drei sehr einfache Fragen erlaubt, mit wildfremden Menschen auf der Straße zu politischen Themen ins Gespräch zu kommen. Das hoffen wir bald verbreiten und bekannter machen zu können.

Lieber Martin, bis hierhin vielen Dank. Die komplette Fassung des Interviews erscheint in der nächsten Printausgabe von NEW-D. Möchten Sie über den Erscheinungstermin informiert werden, folgen Sie NEW-D auf Twitter oder Facebook oder hinterlassen Sie eine Nachricht im Kontaktformular:

    Ihr Name (Pflichtfeld)

    Ihre E-Mail-Adresse (Pflichtfeld)

    Betreff

    Ihre Nachricht