Lange hieß es, Medien und Verlage seien langsam, tun sich schwer mit Veränderungen. Doch es tut sich was. Mittlerweile sprudeln die digitalen Einnahmen, neue Formate gehen an den Start, es wird mehr denn je ausprobiert, wie die Lücke zwischen alter und neuer Medienwelt gefüllt werden kann. Einer der ersten, die auf NEW-D per Zufall aufmerksam wurden, ist Gregor Landwehr. Ich würde ihn als eine Art Selfmade-Medienunternehmer beschreiben. Er ist Gründer von Debatare, einem Print- und Onlinemagazin für politische Debatten, welches 2013 mit dem European Newspaper Award ausgezeichnet wurde. Er arbeitet beim WDR im Ressort „Strategie und Innovationsmanagement“ der Fernsehdirektion, vertreibt Streaming-Lösungen und hat eine „Akademie für neuen Journalismus“ gegründet. Wir streifen im Gespräch Filterbubbles, Debattenkultur und neue digitale Medienformate.

Gregor Landwehr

Herr Landwehr, wir erleben gerade, dass durch Social Media Menschen in ihren eigenen Filterbubbles Wahrheiten bilden und die Medien versuchen, sich digital zu transformieren. Während die Social Media Debattenkultur manchmal anstrengend und wenig zielführend ist, sind die alten Wege des Diskurses mit den klassischen Medien immer weniger akzeptiert, es herrscht Misstrauen („Lügenpresse“). Wo und wie sollen dringend notwendige Debatten heute stattfinden?

Ich denke schon, dass das Internet, und dort auch besonders die sozialen Netzwerke, ein geeigneter Ort für Debatten ist. Das mit den Filterbubbles ist ja kein neues Phänomen. In der Offlinewelt kaufe ich die TAZ oder vielleicht doch die WELT – und schon bin ich in meiner Filterblase. Wichtig ist bei Debatten, dass es klare Regeln gibt. Das gilt übrigens in beiden Welten. Und an diesen Regeln, die von allen akzeptiert werden müssen, mangelt es. Große Emotionalität und die Aufmerksamkeitsökonomie sorgt zudem dafür, dass Onlinedebatten nicht immer optimal ablaufen. Aber das ist auch eine Frage der Debattenkultur, und daran müssen wir noch viel arbeiten.

Ist der sog. konstruktive Journalismus, also Journalismus mit Lösungsvorschlägen, in der Lage genau diese Lücke zu füllen? Was halten Sie von dem Projekt Perspective Daily als Vertreter dieser Art von Journalismus?

Nachrichten sind immer sehr stark von negativen Themen dominiert. Und erfolgreiche Titel, wie etwa „Landlust“, haben ihren Erfolg einem Grundbedürfnis nach etwas heiler Welt, nach positiven Geschichten zu verdanken. Das Crowdfunding Projekt „Perspective Daily“ muss zeigen, ob es die gemachten Versprechen auch einlösen kann und ob sie langfristig die Crowdfunder als Abonnenten halten können.

Facebook und andere soziale Medien haben eine große Verantwortung in punkto Moderation der bei ihnen veröffentlichen Inhalte. Was ist sinnvoller – das Löschen von Inhalten, wenn diese gegen die Standards verstoßen, oder eine „Counterspeech-Kultur“, die Facebook fördert? Und wer legt die Standards dafür eigentlich fest?

Es muss klare Grenzen, klare Regeln geben. Dazu gehört auch das Löschen von Beiträgen, wenn diese gegen die Regeln verstoßen. Die entscheidende Frage ist, wie man diese Grenzen definiert. Interessant ist zu sehen, dass bei Facebook, aus den USA kommend und daher mit einer anderen Debattenkultur ausgestattet, viel stärker als bei uns auf die Gegenrede gesetzt wird. Als Gastgeber, das ist Facebook für seine Nutzer, hat das Netzwerk aber auch die Pflicht, die Spielregeln für die Party festzulegen. Wenn die Party aus dem Ruder läuft, muss Facebook dafür grade stehen. Da reicht es nicht, darauf zu warten, dass andere Gäste den Streit schlichten.

Wird es jungen Menschen irgendwann egal sein, wer der Absender eines Inhalts ist, also die Marke oder das Medium dahinter, solange der Inhalt Relevanz für den Einzelnen hat?

Jeder Inhalt hat einen Absender. Und bei der Einordnung der Inhalte wird der Absender auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Die Frage ist nur, ob die wichtigen Absender dann noch die klassischen Medienmarken sind oder ob neue Marken oder Personen, die zur Marke werden, diese immer mehr ablösen.

Ist Bento oder ze.tt die Antwort auf Buzzfeed und das Vice Mag?

Es ist insofern die Antwort, wenn man sagt, wir haben verstanden, dass wir im Korsett unserer etablierten Marken nicht genug Freiheit haben, um Neues auszuprobieren. Vice und Buzzfeed stehen beide für neue journalistische Formate. Ich bin skeptisch, ob Bento und ze.tt das auch schaffen werden.

War die Tagesschau in 100 Sekunden ihrer Zeit voraus? Die ist ja fast wie Snapchat von der Geschwindigkeit her, nur dass man nicht weitertippen kann. Wie müssen News-Formate für Menschen mit sieben Sekunden Aufmerksamkeitsspanne aussehen?

Noch mehr auf den Punkt! Bei Nachrichten ist auf der visuellen Ebene noch viel mehr möglich. Was das Design und die Animation von Infografiken angeht, stehen wir noch ganz am Anfang, stattdessen wird viel zu viel auf belanglose Bilderteppiche gesetzt. Und mit Blick auf Snapchat werden auch Texte im Bild eine wichtigere Rolle spielen.

Auf der einen Seite Paid Content und Abo-Modelle wie Netflix auf der anderen Seite User, die Werbeblocker einsetzen. Wie kann eine Finanzierung von journalistischen Produkten in Zukunft aussehen?

Das klassische Anzeigengeschäft funktioniert immer noch, nur sind die Renditen nicht mehr so traumhaft wie es einige Verlage aus den fetten Jahren kennen. Neu wird es sein, dass es mehr Inhalte geben wird, die von Partnern finanziert werden. Damit meine ich keine Advertorials, sondern dass Firmen als Partner auftreten. Sie haben keinen redaktionellen Einfluss, aber finanzieren Inhalte und sind im redaktionellen Umfeld präsent.

Warum glauben Sie, dass Debatare als Print-Magazin besser funktioniert als im Web?

Ich erinnere mich noch gut daran, als wir unsere ersten gedruckten Ausgaben verteilt haben. Wie früher, als die Zeitungen noch Extrablätter rausgegeben haben. So einen persönlichen Kontakt zum Leser gibt es sonst nicht. Grade als neue Marke war es so einfacher, eine gewisse Bekanntheit zu erreichen. Außerdem haben wir ein sehr besonderes Layout. Das funktioniert in der gedruckten Ausgabe recht gut.

Debatare

Sie haben eine Akademie, sind für den WDR tätig, vertreiben Chat-Software und Livestreams und machen mehrere Magazine. Wie kriegen Sie das alles unter einen Hut?

Das hört sich jetzt sehr viel an, aber bei einigen dieser Projekte beschränke ich mich auf die Rolle des Gesellschafters. Das ist natürlich weniger aufwendig. Letztendlich ist alles eine Frage der Organisation und des Teams dahinter. Und hier habe ich sehr viel Glück gehabt und tolle, begabte Menschen um mich, mit denen ich arbeiten darf.

Welche Rolle spielt Open Source Software für Selfmade-Medienmacher wie Sie heute?

Ohne Open Source Software und GPN-Lizenzen sähen heute viele Medienprodukte sicherlich nicht so schön aus. Sie sind nicht nur für die Optik wichtig, sondern haben einen ganz wichtigen Beitrag für die Demokratisierung der Medien gespielt. Kein Softwareunternehmen ist so schnell wie eine große, aktive Community. Außerdem lassen sich gerade zu Beginn die Kosten niedrig halten, auch das hat bei uns einige Entwicklungen erst möglich gemacht.

In welche Richtung wird sich die deutsche Medienlandschaft in den nächsten 5 Jahren entwickeln?

So allgemein gefragt würde ich sagen: Sie wird kleiner werden, einige Titel und viele Stellen werden verschwinden. Und neue werden entstehen, aber in der Summe wird die Branche schrumpfen. Auch, weil dann Routineaufgaben von intelligenter, selbstlernender Software übernommen wird. Das sind Aufgaben, die momentan noch Journalisten machen. Dadurch wird die Panik bei manchen etablierten Unternehmen noch größer werden. Die öffentlich-rechtlichen Medien werden eine sehr wichtige Säule bleiben. Wir werden Inhalte für Kanäle produzieren, die wir heute noch gar nicht kennen.

Herr Landwehr, vielen Dank für das Gespräch!

Fotos: Julia Kneuse
Debatare im Web
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