Mein Gott, ist das lange her. Vor 10 Jahren war ich auf der zweiten re:publica und habe über „Social BookmarkingEine Community schafft eine Alternative zu Suchmaschinen“ gesprochen.


Ungefähr so lange laufe ich dem Mitgründer der re:publica, Markus Beckedahl, immer mal wieder über den Weg.

Beckedahl feiert in diesem Jahr Jubiläum, sein Blog und der Verein netzpolitik.org  hat Geburtstag. Wie er den Status Quo der Netzpolitik sieht, was die re:publica in Zukunft vorhat und sein Ausblick auf die Bundestagswahl 2017 : NEW-D hat die Antworten.

Herr Beckedahl, seit 15 Jahren machen Sie nun netzpolitik.org. Wie fühlt sich der Teenager heute – Akne oder die erste Liebe?

Die Motivation ist noch dieselbe, aber aus einem kleinen Nebenbei-Projekt ist eine professionelle Redaktion geworden mit derzeit zehn festen Mitarbeitern, die auf sechs Stellen verteilt sind und einem riesigen Netzwerk drum herum.  Insofern würde ich mich bei beiden Projekten eher für die erste Liebe entscheiden. Endlich können wir dank der finanziellen Unterstützung unserer Leserinnen und Leser gründlicher recherchieren und damit vieles besser erklären.

Netzpolitische Themen werden heute viel breiter diskutiert. Nahezu jeder Verband, jede Partei, jede Agentur beschäftigt Spezialisten für das Thema. Wie hat sich Ihre eigene Arbeit in den letzten Jahren verändert?

Während wir uns vor zehn Jahren freuten, wenn der Bundestag einmal im Monat über ein netzpolitisches Thema diskutierte, vergeht heute kaum ein Tag, wo nicht eine netzpolitische Debatte in der Tagesschau zu finden ist.

Das Themenfeld Digitalisierung/Netzpolitik ist zu einem großen Querschnittsthema geworden und der Bundestag diskutiert darüber während der Sitzungswochen in fast allen Ausschüssen. Wir kommen leider kaum noch nach, alles Relevante in der Tiefe zu dokumentieren und zu kommentieren und müssen uns daher leider auch spezialisieren. Da bleibt vieles liegen, was aus unserer Sicht auch wichtig wäre. Das ist manchmal auch frustrierend.

Auf der einen Seite beraten Sie Institutionen, auf der anderen Seite will man Sie wegen Landesverrats verklagen. Haben Sie nicht manchmal das Gefühl „Wem kann ich eigentlich noch vertrauen?“

Die Ermittlungen wegen Landesverrat haben vor allem gezeigt, dass es sehr viele Menschen und Institutionen gibt, die uns unterstützten und die Solidarität gezeigt haben. Insofern habe ich das Vertrauensproblem eher gegenüber meinem Smartphone, das sehr viel über mich weiß und wo ich mir leider nie sicher sein kann, dass da nicht irgendwer mitlauscht. Und das ist echt ein Problem.

Marks Beckedahl

Markus Beckedahl

2017 ist „Love out loud“ das Thema der re:publica. Ein positiver Gegenimpuls zu Hatespeech, Populismus und Verrohung ist nötiger denn je. Wie soll dieser Impuls aussehen?

Hatespeech, Populismus und Verrohung geht ja nur von einem ganz kleinen Teil der Gesellschaft aus, dem wir aber zu viel Raum gegeben haben. Wir wollen über Gegenstrategien diskutieren, wie wir eine offene Gesellschaft offline und online verteidigen können und wie wir Menschen motivieren und vernetzen können, selbst aktiv zu werden und dafür zu kämpfen.

Wie geht es mit der re:publica nach dem Experiment in Dublin international weiter?

Wir planen weitere kleinere Satelliten-Events, wieder in Dublin, aber auch in Thessaloniki. Eines der Ziele dieser Events ist ja die Vernetzung mit anderen Communities, auch um gegenseitig den Horizont zu erweitern und andere Perspektiven zu verstehen. Die digitale Gesellschaft ist international, die Blickweise darauf aber sehr unterschiedlich.

Was werden wir auf netzpolitik.org zur Bundestagswahl 2017 erleben? Plant Ihr Specials wie Wahlprüfsteine oder ähnliches? Sind Sie selbst als Berater für Parteien aktiv?

Wir werden sicher über Wahlprüfsteine von anderen berichten. Wir schauen uns selbstverständlich viele Wahlversprechen an und werden viel Zeit mit Fact-Checking verbringen und viele Politikeraussagen überprüfen. Dazu haben wir noch viel mehr Ideen, lassen uns aber überraschen, für was wieviel Zeit bleibt. Es ist ja auch nicht unser erster Wahlkampf, und aus früheren wissen wir, dass häufig viel Unerwartetes passiert. Und die außenpolitische Weltlage lässt ja auch viel Spielraum für Überraschungen.

Wir sind als Redaktion aber unabhängig und werden nicht als Berater für einzelne Parteien aktiv sein.

Wenige Wochen ist Donald Trump nun im Amt. Wie schätzen Sie die Auswirkungen seiner Politik auf Netz-Themen ein?

Seine Politik ist ja noch etwas unspezifisch. Aber sein Personal und die ersten Schritte lassen erahnen, dass die Überwachungssysteme massiv ausgebaut und die Welt unsicherer werden könnte. Dazu kommen viele alte Debatten zurück. Einer der ersten Schritte von Trump war  die Einsetzung einer Person als Chef der Telekommunikationsregulierungsbehörde, die ein entschiedener Gegner der Netzneutralität ist. Wir werden sehr bald die Abschaffung der Netzneutralität in den USA erleben, aber zum Glück haben wir in der EU einen aufwändigen Gesetzesprozess hinter uns, wo auch Günther Oettinger nicht verhindern konnte, dass wir klare Regeln bekommen, die nicht so schnell abgeschafft werden können.

Wenn Sie sich drei Dinge für die Wahlprogramme der bundesdeutschen Netzpolitik wünschen könnten, welche wären das?

  1. Ein verbraucher- und innovationsfreundliches Urheberrecht, das Urheber nicht enteignet
  2. Eine Stärkung von Datenschutzrechten und der Schutz der Privatsphäre, u.a. durch einen Rückbau vieler Überwachungsmaßnahmen
  3. Mehr Geld und Ideen, wie wir die Medien- und Digitalkompetenz an alle Teile der Bevölkerung vermitteln können – nicht nur an die Schüler

Herr Beckedahl, vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg!

Bildrechte: re:publica/Jan Zappner CC BY 2.0, Daniel Müller, Greenpeace.

NEW-D Newsletter abonnieren: