„Hugh-Greene-Weg“, so zeigt das Straßenschild an, das nach links weist, kurz nach der Haltestelle Hagenbecks Tierpark. Graue Wolken hängen am Himmel. Schon von weitem ist das Herz der politischen Berichterstattung in Deutschland erkennbar. Ein bisschen 80ies fühlt es sich an, als ich das Gebäude des NDR betrete. Vorzimmer, alte Telefone, die Tafel mit den „Nachrichten vom Betriebsrat“. Eine Medienfabrik. Im 5. Stock treffe ich mich mit Anja Reschke, Journalistin des Jahres 2015, um über Polarisierung und Diskussionen im Netz zu sprechen. Sie spricht schnell und auf den Punkt. Wiederholt sich kaum.

Ein Jahr ist Ihr viel diskutierter Kommentar zur Flüchtlingsdebatte  jetzt her. Mein Eindruck ist, dass Social Media inzwischen zu einer stärkeren Polarisierung der Gesellschaft geführt haben. Diskussion und Austausch sind schwieriger geworden. Sehen Sie das auch so oder war das schon immer so?

Ich glaube, dass es immer schon so war, dass man in der Gesellschaft polarisierende Meinungen hatte. Nur waren diese Meinungen, die sich abseits einer Gesellschaftsnorm abspielten, nie so laut wie heute. Die Digitalisierung hat das quasi hervorgespült. Jeder, der heute ein Tabu bricht, kriegt eine Riesenreaktion darauf. Wenn man seine Weltsicht nur aus dem Netz bezieht, bekommt man die Realität nicht mehr objektiv vermittelt, sondern man ist in seiner Filterbubble. Wenn alle um dich herum sagen, „Ausländer sind kriminell“ oder „Wir sind das Volk“ hast du das Gefühl, Hunderttausende sind genau dieser Meinung. Das ist dann kein Diskurs mehr, weil du dich nur noch in deinen vertrauten Foren bewegst.

So ging es mir immer nach den Tagesthemen-Kommentaren, da hatte ich das Gefühl, ganz Deutschland ist der Meinung, man wolle keine Flüchtlinge. Wenn du dann mal rausgehst, dich mit Studenten unterhältst oder an einer Volkshochschule bist, dann merkst du zum Glück, es gibt auch noch andere Stimmen. Die heutige dauernde digitale Bestätigung der eigenen Meinung ist ein extremes Problem.

Früher gab es vielleicht hundert Leserbriefe, wovon neunzig verschwanden, weil nur zehn abgedruckt worden sind, dadurch war es weniger sichtbar.

Genau. Dazu gibt es heute auch noch eine gestiegene  Anspruchshaltung. Wenn etwa auf Tagesschau.de nicht jeder  Kommentar freigeschaltet wird, gibt es sofort Beschwerden, manchmal bis zum Rundfunkrat mit dem Tenor: „Zensur!“, die Meinungen würden unterdrückt, obwohl es kein Recht auf Veröffentlichung gibt. Viele denken, nur weil sie etwas an eine Redaktion schreiben, müsse das auch veröffentlicht werden.

Wo gibt es denn noch Orte für echten Diskurs? In den Kommentarspalten ist es schwierig, viele Onlinemedien lassen Kommentare gar nicht mehr zu oder lagern die Diskussion auf Facebook aus. Facebook hat kein Interesse daran, zu moderieren, weil das Geld und Ressourcen kostet und hohes Engagement auf der Plattform auch gut für die Monetarisierung ist. Die Onlinemedien sind bis auf ein paar Ausnahmen defizitär und können diese Aufgabe kaum leisten.

Ich kann nur für den NDR sprechen, also für tagesschau.de oder panorama.de. Bei uns ist alles offen. Bei bestimmten Diskussionen schafft man es aber von der Manpower nicht mehr, dann wird eine Kommentierung auch mal geschlossen. Aber ich kann verstehen, dass andere Medien das personell einfach nicht abdecken können. Wir haften für das, was gepostet wird, also muss alles vorher gelesen und kontrolliert werden. Wenn jemand z.B. den Holocaust leugnet, kann man das nicht stehen lassen.

Tagesschau.de musste wegen der vielen Kommentare Mitarbeiter aufstocken und auch wir bei Panorama haben uns personell verstärkt. Das muss man natürlich bei so einem Thema mitbedenken: Gebührengeld geht in die Beschäftigung mit Meinungsäußerungen. Das ist einerseits richtig, denn es geht ja um den Dialog mit dem Publikum. Wenn man sich aber zuviel mit den lauten, krassen Meinungsäußerungen beschäftigt, frage ich mich manchmal schon, ob das eigentlich richtig und gerecht ist. Und ich kann Verlage verstehen, die das nicht machen, einfach weil es sich wirtschaftlich nicht rechnet. Für den gesellschaftlichen Diskurs allerdings ist es besser, wenn man Kommentierung zulässt.

Führen diese Diskussionen zu etwas?

Man darf sich da nichts vormachen. Gerade bei hochpolarisierenden Diskussionen etwa über TTIP, Fracking oder Flüchtlinge bringen diese Diskussionen nicht weiter. Die Argumente sind immer die gleichen. Das permanente „Entgegengeklatsche“ von Meinungen führt zu nichts und verhärtet die Fronten nur noch mehr. Auch wenn Leute versuchen, mit Argumenten zu überzeugen, geht es doch nach dem dritten Post nicht mehr weiter und man hat keine Lust mehr, weiter zu diskutieren. Man hört nicht auf Argumente, erst recht nicht auf Fakten.

Manchmal denke ich, das Netz ist eine große Selbstbeschäftigungsmaschinerie.

Die Politik hat anscheinend nicht mehr die Bindekraft für wirkliche Diskurse und auch bei den Medien ist diese Tendenz zu beobachten. Viele sagen, ich misstraue denen, ich glaube denen nicht mehr. Wo ist dann noch ein Ort, der übrigbleibt? Sind das nur noch die sog. „Hyperpartisan Facebook Pages“ . Oder doch wieder die Kneipe um die Ecke?

Ich würde das nicht so negativ sehen. Man darf eines nicht unterschätzen: Wir haben einen gesellschaftlichen Diskurs, wie wir ihn lange nicht mehr hatten. Wie soll diese Gesellschaft aussehen? Welche Werte vertreten wir? Wie tolerant soll sie sein? Welche Sorgen müssen wir berücksichtigen? Das wird heute in meiner Wahrnehmung viel häufiger diskutiert als vor ein paar Jahren.

Liegt es auch daran, dass es „schick“ ist, eine Haltung, eine Meinung zu haben? Heute muss man gefühlt zu allem eine Meinung haben, auch wenn man keine Ahnung vom Thema hat.

Ich würde das nicht als schick bezeichnen. Meine Erkenntnis aus dem letzten Jahr ist, dass ich dachte, die Bundesrepublik sei in ihren Grundlagen durchverhandelt. Das ist unsere Demokratie, das ist unser Land, so läuft der Laden und es gibt nur ein paar kleine Sachen, an denen man etwas verbessern kann – ganz platt gesagt.

Ich stelle aber fest, dass das gar nicht so ist, dass ganz grundlegende Sachen erneut zur Diskussion gestellt werden – sei es zum Beispiel die Rolle von Mann und Frau, von Religion und Toleranz, der Umgang mit der eigenen Geschichte. Selbst Energieversorgung wird wieder neu diskutiert.

Wenn die AfD beispielsweise in ihr Programm schreibt, dass man den Unterricht über das 3. Reich in der Schule herunterfahren muss, dann muss man darüber diskutieren. Denn auch wenn jede Generation das Recht hat, den Umgang mit diesem Thema für sich neu zu betrachten, so gibt es eben doch klare Grenzen und Eckpfeiler. Und die werden anscheinend gerade in Frage gestellt, da treibt die AfD sicher viele vor sich her.

Ich mache mir Gedanken, wie man aus diesem Diskurs, der sich nur noch um Wortdreschereien dreht,  wieder eine Bereitschaft hinbekommt, sich wirklich zu engagieren. Diese Bereitschaft sinkt durch das „sich in Rage reden“.

Das ist wie in einer Beziehung. Wenn sich beide Seiten so viele bösen Sachen an den Kopf geworfen haben, dann ist sie nicht mehr zu retten. Es ist schon so viel böses Blut geflossen, dass man nicht mehr weiß, was man eigentlich am anderen hatte und dann sind vernünftige Gespräche kaum mehr möglich.

Spannend – Ich habe den Eindruck, dass wieder mehr Leute überlegen, auch in Parteien zu einzutreten. Einige beschäftigt die Frage, wie man wieder vom „Ich“ zum „Wir“ kommt. Viele legten in Social Media große Hoffnungen für den freien Meinungsaustausch, für Beteiligung. Bei politischen Themen stoßen soziale Netzwerke aber manchmal auch an ihre Grenzen.

Da würde ich widersprechen. Man erzeugt ja schon ein „Wir“ in bestimmten Gruppen. Die  ehrenamtliche Flüchtlingshilfe zum Beispiel hat sich im letzten Sommer hauptsächlich über die sozialen Netzwerke organisiert.

Genauso ist es auch bei politischem Protest, z. B. bei einer Bürgerinitiative, die sich gegen eine Oberleitung oder ein Windrad wehrt. Solche Initiativen formieren sich auch über die sozialen Netzwerke und können ein „Wir-Gefühl“ und ein Engagement hervorrufen. Nur was man nicht mehr hinkriegt, und das ist wahrscheinlich das grundlegendere gesellschaftliche Problem, was durch Social Media vielleicht noch verstärkt wird, ist die größere Zersplitterung der Gesellschaft zu verhindern.

Deswegen haben auch viele ein Problem, in eine Volkspartei einzutreten, weil man nicht mehr weiß, wofür die eigentlich steht. Ein gesamtgesellschaftliches „Wir-Gefühl“ kommt gerade noch bei einer WM auf. Insgesamt aber gebe ich Ihnen recht, das altruistische Moment nimmt ab. Das hat aber nicht nur mit Digitalisierung, sondern auch mit der Veränderung von Arbeitswelten, mit Neokapitalismus und mit Globalisierung zu tun.

Woher kommt das neue Misstrauen gegenüber Medien? Auf einer Diskussion mit einem Pressesprecher der Polizei München sagte der: „Früher brauchte man die Medien, um die Fakten der Polizei zu prüfen, heute ist es umgekehrt.“ Eigentlich ist es ja einfacher denn je zu versuchen, „Wahrheit“ zu überprüfen.

Das Misstrauen gegenüber Medien ist entkoppelt von Wahrheit und Fakten. Vier Punkte spielen dabei eine Rolle.

Der erste Punkt: Man findet zu jeder abstrusen Idee einen klug klingenden Menschen auf der Welt, der diese bestätigt. Die Wahrheit zu finden, war immer schwierig. Je nach persönlicher politischer Überzeugung ist es dann sehr einfach zu sagen: „Aha, habe ich doch im Netz anders gelesen, die ARD berichtet falsch.“

Der zweite Punkt: Die Glaubwürdigkeitskrise hat auch viel mit gesteuerter Propaganda zu tun, z.B. wie bei der Lisa-Geschichte.

Der dritte Punkt: Vieles von dem, was wir heute erleben, ist eine immer noch nicht verarbeitete Wiedervereinigung. Man merkt einen Unterschied zwischen Ost und West. Nicht in allen Punkten, aber schon in einigen. Im Osten gibt es viel mehr Putin-Befürworter als im Westen. Das hat etwas mit Sozialisation, mit Augenhöhe, mit dem Gefühl des Abgehängtseins zu tun. Die klassischen Medien sind ja auch fast alles „Westmedien“ und die werden als eine Art Elite wahrgenommen.

Der vierte Punkt: Ich glaube, dass dieses Land über Jahre funktioniert hat mit bestimmten Säulen wie den Kirchen, den Gewerkschaften, den Medien und der Politik, die auch bestimmte Tabus festlegten. Wenn die jemand überschritten hat, haben diese „Säulen“ versucht, das Korsett wieder gerade zu rücken, den Wertekonsens wiederherzustellen. Das haben die Leute natürlich gemerkt. Und heute werden genau die als „Elite“ wahrgenommen.

Es ist bizarr für mich, die ich ja vom kritischen-investigativen Journalismus komme, dass das, was dieser Journalismus geleistet hat, nämlich die kritische Wächterfunktion, zum Teil zu gegenläufiger Wahrnehmung geführt hat. Als der kritische Journalismus in den 50er 60er Jahren begann, war die Bevölkerung zu großen Teilen noch sehr obrigkeitshörig und gar nicht willens, Politiker zu kritisieren oder zu hinterfragen. Das wurde jahrzehntelang eingeübt etwa durch den  SPIEGEL, den Stern oder auch die politischen Magazine im Fernsehen.

Interessanterweise hat das aber nicht dazu geführt, dass gesagt wird „Guck mal, die Demokratie funktioniert“, wenn jemand Mist baut, merken Journalisten das, sondern die Berichte wurden eher wahrgenommen als „Guck mal, wie viele schlimme Sachen passieren, was sind wir doch für eine Bananenrepublik, schon wieder ein korrupter Politiker.“

Viele kritisieren heute mangelnde „Neutralität“ der Medien.

Es gibt eine Erwartungshaltung an Medien, die wir nicht immer einhalten können. Ich höre immer wieder in Mails, wir berichteten ja nicht neutral oder würden „die Wahrheit“ verschweigen. Die gibt es aber nicht.

Es gibt keine Neutralität. Was ist ein „neutraler Bericht“? Es gibt keinen Journalismus, der nur Fakten erzählt, man gewichtet immer. Das fängt damit an, welche Themen man auswählt z.B. für die Tagesschau. Dann geht es weiter: Wie bewertet man die Fakten? Und natürlich bewerten wir sie. Wenn ich jetzt sage: Hier steht ein Glas Wasser, würden wir beide uns noch einig sein. Aber wenn ich darüber spreche,  wie du das Glas Wasser trinkst, könnten wir schon unterschiedliche Wahrnehmungen haben.

Ein Journalist wird immer mit seinem Background, mit seiner Sozialisation, mit seinen Erfahrungen ein Thema betrachten. Wenn drei Leute über eine Sache schreiben, kommen drei unterschiedliche Berichte dabei heraus. Den Wunsch nach absoluter Neutralität, kann ich nachvollziehen, aber das gab es nie.

Ich gebe aber auch zu, dass wir beim Thema Glaubwürdigkeit auch etwas falsch machen. Ja, wir waren eine Elite, man musste eine Sendelizenz oder einen Verlag haben, um publizieren zu können. Das hat sich komplett geändert. Damit wird alles in Frage gestellt, was mal diesen elitären Status hatte. Theoretisch gibt es heute viel mehr Transparenz, man kann heute nachgucken, was etwas kostet und wofür die Gebühren ausgegeben werden. Es gibt aber auch Punkte, wo wir das nicht tun. Warum sagen wir nicht, wieviel wir für Sportrechte ausgeben? Wie viel ein Sportkommentator verdient? Das verstehen die Leute nicht.

© NDR/Gita Mundry

Wie erleben Sie als Journalistin das Feedback der Zuschauer?

Ich spreche von den E-Mails, da diese meist an mich adressiert sind, aber natürlich geht auch wahnsinnig viel über Facebook und Twitter. Die Menge hängt vom Thema ab, aber es sind manchmal schon hunderte  Äußerungen nach einer Sendung.

Wie organisieren Sie die Beantwortung?

Es ist so, dass die Autoren, die  die Berichte gemacht haben, die Mails oder Fragen dazu auch beantworten. Bei sehr kontrovers diskutierten Themen wie TTIP oder Fracking kommen häufig ähnliche Argumente oder Fragen. Die beantworten wir dann gesammelt. Mit einer halben Stunde pro Tag kommt man da nicht aus. Es sind ganze Tage, die wir uns damit beschäftigen. Leider posten diejenigen, die meckern natürlich keine Antworten von mir, das würde ja nicht ins Bild passen.

Wenn Zuschauer, die ja schließlich Gebühren zahlen, eine höfliche Frage haben, haben sie auch eine Antwort verdient. Ich betone höflich, denn bei denen, die mich anraunzen oder nur Dreck auskippen, ist das anders. Eine kritische Mail zu beantworten, dauert schon mal 20 Minuten, man muss ja oft nochmal was nachprüfen oder nochmal recherchieren. Manchmal gibt man sich viel Mühe mit der Antwort, geht differenziert auf Fragen ein und dann bekommt man einfach die gleiche Argumentation nochmal zurück. Das ist frustrierend.  Es gibt aber auch Leute, die Argumenten noch zugänglich sind. Neulich hatte ich jemanden, der geschimpft hat, dass wir immer  so pro-amerikanisch berichten würden und immer gegen Putin seien. Dem habe ich eine detaillierte Liste über Beiträge aus den letzten Jahren geschickt, über unsere Berichte über die NSA, die Abhörprotokolle, über den gesamten Irak-Krieg, in denen Panorama die US-Regierung stark kritisiert hat. Der Briefschreiber hat sich dann im Nachhinein bedankt und zugegeben, dass er das nicht berücksichtigt habe.

Kommen wir zum letzten Punkt, den Jugendlichen. Kann politische Berichterstattung für junge Menschen sexy sein, die vor allem Inhalte wie Unilad und Schminktipps auf YouTube konsumieren?

Die linearen Fernsehprogramme der ARD sind wie sie sind. Selbst wenn es „jugendliche“ Inseln gibt, wird es schwer, junge Leute in der Breite dauerhaft reinzuholen. Umfeld und Anmutung, das ist nichts für 25-jährige. Das wäre verschwendete Liebesmüh. Aber man muss sich immer vor Augen halten: die Fernsehnutzungsdauer ist hoch in Deutschland. Panorama zum Beispiel hat im Schnitt drei Millionen Zuschauer, das ist für ein politisches Magazin schon eine Größe.

Aber als Programmplaner habe ich nicht viele Möglichkeiten diese Einschaltquoten zu verändern. Wir hängen ab vom Vorlauf, vom Konkurrenzprogramm. Selbst wenn wir junge Themen wie Studiengebühren behandeln, gucken nicht unbedingt mehr junge Leute zu. Und genau dafür ist das Netz für uns immens wichtig. Es ist nicht so, dass sich junge Leute nicht für unsere Themen interessieren. Sie gucken sie eben nur nicht linear im Fernsehen. Also muss ich zusehen, wo ich diese jungen Leute erreiche. Social Media ist für uns super, da wir dort mit Schnipseln der Sendung Leute erreichen, die wir sonst gar nicht mehr erreichen. Oder YouTube,  z.B. Geschichten wie „das Lügenfernsehen“ , die auf YouTube über eine halbe Million Views haben, da ging es um Scripted Reality. Oder Michel Abdollahi, den wir einem Monat in das Nazidorf Jamel geschickt haben oder einem Reporter, der über einen„Schwulenheiler“ recherchiert hat.

Ich glaube, wir müssen jungen Leuten unsere Themen anders servieren und auch zu ihnen tragen. Wir können nicht warten, dass sie uns finden. Auch da lernen wir, dass dies ein permanenter Prozess ist. Vor zwei Jahren habe ich die Online-Abteilung hier massiv verstärkt und wir kriegen jetzt viel Feedback – auch von jungen Leuten. Damit hoffen wir, die nächste Generation für aufklärende oder gesellschaftskritische Themen zu begeistern.

Mein Eindruck ist, dass viele Redaktionen einfach nur ihr lineares Programm in ein paar Teile schneiden und das dann in Social Media posten. Ist es nicht auch denkbar, eigene Formate nur für ein Netzwerk wie Facebook zu machen?

Wir sind an den Rundfunkstaatsvertrag gebunden und es gibt dafür keine extra Ressourcen. Wenn ich könnte, würde ich natürlich eine komplett eigene Bespielung der Kanäle machen, das ist ja das, was ARD und ZDF mit „Funk“ gerade versuchen. Dafür habe ich aber keine Mannschaft. Ich muss mit dem Content, der da ist, etwas machen. Der Etat, den ich habe, ist für das lineare Programm gedacht und davon muss ich etwas für Online abzwacken. Die 100.000 Fans auf Facebook haben wir in drei Jahren gesammelt. Wir waren zwar die letzten der politischen Magazine auf Facebook, haben jetzt aber alle überholt. Ich glaube nicht, dass die Geschichten für soziale Medien anders sein müssen. Man muss sie anders verpacken, anders erzählen. Aber eine gute Geschichte ist eine gute Geschichte, egal wo sie läuft.

Als wir vor acht Jahren das Presenter-Format gestartet haben für „Panorama – Die Reporter“, wo Journalisten stärker als Marke eine eigene Rolle spielen, was mussten wir uns da anhören. Heute ist es auf YouTube das gängigste Format. Die „KiK-Story“  hat nur deswegen so gut funktioniert, weil Christoph Lütgert sie genau so präsentiert hat. Nicht jede Geschichte muss eine Reporter-Geschichte sein, aber wenn es um Emotionen geht, passt das gut. Aber auch ein ruhiger Film kann eine große Kraft haben.

Frau Reschke, vielen Dank für das Gespräch!

Bildnachweise:

© NDR/Thomas Pritschet

© NDR/Gita Mundry

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