Hamburg, im Februar 2016. Das Bucerius Lab lädt zum Symposium „Die kalifornische Herausforderung“. Mit Sascha Lobo, Frank Rieger, Mercedes Bunz oder Johnny Haeusler sind an den zwei Tagen spannende Impulse zu erwarten. Hinter dem Bucerius Lab steht die ZEIT-Stiftung, die sich verschiedenen Initiativen der gesellschaftlichen Gestaltung der Digitalisierung verschrieben hat.
Unter dem Motto „vernetzt# – Wie wollen wir digital leben?“ wirft der Veranstalter Fragen auf: Welches Verständnis von Fortschritt verspricht uns die kalifornische Digital-Kultur? Vor welche Herausforderungen stellt uns die Digitalisierung? Gibt es Alternativen zu den Innovationsmustern des Silicon Valley? Welche Folgen hat Big Data für unsere Freiheit? Wie wächst die digitale Stadt? In was für einer digitalen Zukunft wollen wir leben – und wie können wir sie gestalten?

Ein neuer Plattformkapitalismus?

Sascha Lobo startet den 2. Tag des Symposiums (PS: Am ersten Tag konnte ich nicht teilnehmen). Er sieht den „Plattformkapitalismus“ als nächste Stufe der Digitalisierung. Nach einer Studie des Kapitalverwalters Blackrock haben bereits 20-25% der Unternehmen gar kein echtes Inventar mehr, sind also komplett virtuelle Unternehmen. Drei Dinge treiben diese Entwicklung: 1. die Datenbegeisterung, 2. die mobile Revolution (ein durchschnittlicher Brite guckt z.B. 221x am Tag auf sein Smartphone) und 3. „Sofortness“, die digitale Ungeduld. Kennzeichnend für den Plattformkapitalismus ist der Wandel vom alten Wirtschaftsmodell (viele Anbieter = gesunder Markt) hin zu einem Modell, in dem ein Anbieter nach dem Motto „The winner takes it all“ operiert. 2006 war es Nokia, heute ist es Android. Hardware spielt eine immer geringere Rolle, vernetzte Software gibt den Ton an. Investoren wie Peter Thiel geben ihr Geld nur für das nächste „Einhorn“ (ein Startup das schnell mit mindestens einer Milliarde Dollar bewertet wird) aus, auch das ist ein Grund, warum Monopole im Webbusiness so häufig sind. Die Dominanz der „Four horsemen“ hat übrigens auch Marketingprofessor Scott Galloway sehr anschaulich mit Zahlen belegt, hierzu aber später einmal mehr.

Von autonomen Daten und ethischem Design

Den nächsten Vortrag hielt Aral Balkan. Balkan beschäftigt sich seit seinem siebten Lebensjahr mit Computern. Er ist Vordenker der Indie-Bewegung und Gründer von Ind.ie, einem Unternehmen, das sich mit der Entwicklung sozialverträglicher Technologien beschäftigt. Sein Vortrag beginnt mit Produkten, die selber anfangen Daten zu sammeln, wie zum Beispiel der Google Teddybär oder die Hello Barbie.

Wem gehören diese Daten? Wenn das Individuum die Kontrolle über diese Daten behält, ist das okay. Wenn Unternehmen oder auch der Staat mit diesen Daten arbeitet, wird es kritischer. Sein Vortrag endet mit dem Appell, Software ethisch zu entwickeln. Ethical Design ist dafür ein interessantes Modell. Balkan spricht sich für neue Funding-Möglichkeiten aus, die gezielt Alternativansätze als Gegenentwürfe zu GAFA fördern. Leider mangelt es vielen dieser bereits existenten Alternativen an Convenience und vor allem an Bekanntheit.

Brauchen wir ein neues Gesellschaftsmodell, wie wollen wir digital leben?

Der nächste Sprecher: Dr. Christoph Kucklick. Soziologe, Chefredakteur der Zeitschrift GEO und Autor des Buches „Die granulare Gesellschaft“, das die Folgen der Digitalisierung auf neue Weise deutet. Er stellt sich die Frage, warum wir im digitalen Zeitalter ein neues Gesellschaftsmodell brauchen. Der Grund liegt auf der Hand: Unser Rechtssystem ist für Menschen entwickelt worden, deren Entscheidungen man sanktionieren kann. Was aber passiert, wenn Maschinen zukünftig eigenständig Entscheidungen treffen?

Was macht ein selbstfahrendes Auto, wenn vor ihm eine Gruppe Fahrradfahrer auftaucht und es nicht mehr ausweichen kann? Fährt es die Person an, welche die besten Überlebenschancen hat oder die, die nicht mehr lange zu leben hat? Die Zukunft der Mobilität braucht völlig neue Spielregeln.

Aber auch die Digitalisierung der Meinungsbildung und die Debatten- und Diskurskultur verändert unsere Gesellschaft. Es gibt Indizien dafür, dass algorythmische Filterung von Nachrichten zur Radikalisierung führt. Schon „weiter“ ist man in den USA. Hier befürworten angeblich 80% der Studenten, dass es in Ordnung ist, bestimmte Äußerungen zu verbieten. An Hörsälen hingen bereits Schilder wie „Achtung, die Inhalte dieser Vorlesung könnten Sie empören“. Doch nicht nur Mobilität und Bildung sind von der Digitalisierung betroffen.

Auch die Medizin oder der Zugang zu Krediten wird neu geregelt. Mit dem Einzug der personalisierten Medizin muss das gesamte Klassifikationssystem der Medizin, das bisher alle weitgehend gleich behandelt hat, komplett neu geschrieben werden. Soziales Verhalten bestimmt zukünftig auch die Kreditwürdigkeit, wie z.B. in China mit dem geplanten sog. Social Credit System. All diese Beispiele machen deutlich, dass wir ein neues Gesellschaftsmodell brauchen. Und eine breite gesellschaftliche Debatte darüber, wie dieses aussehen soll.

Eine Zusammenfassung der Diskussionen der zwei Tage gab der von mir sehr geschätzte Johnny Haeusler, Mitgründer der re:publica und des neuen Digital-Festivals für Jugendliche, der Tincon.

„Denial is not an option“

Verweigerung ist keine Option – das blieb bei mir hängen. Die Alternativen blieben aber noch vage. Malte Spitz fordert eine Wertedebatte zu den Themen Arbeitsleben, Gesundheit und Bildung. Frank Rieger vom Chaos Computer Club fordert Foren, die das Gute von Technologie fördern und nicht das Schlechte hervorbringen. Der digitale Umbruch ist nicht nur ein wirtschaftlicher, sondern ein gesellschaftlicher Umbruch. Eine Charta der digitalen Grundrechte wie sie Martin Schulz forderte, ist bereits in der Debatte.

Denial is not an option

Ich frage mich, wie es dem Veranstalter nach den vielen Diskussionen ergangen ist, ob ein europäischer Weg der Digitalisierung für ihn sichtbar wurde. Ich spreche wenige Wochen nach der Veranstaltung mit Daniel Opper von der ZEIT-Stiftung, der das Symposium mit seinem Team organisiert hat.

Wenn Sie heute auf das Symposium zurückblicken, was ist hängengeblieben und wie nah sind wir einer europäischen Antwort auf die kalifornische Herausforderung gekommen?

Auf die Frage kann es keine einzelne Antwort geben. Es ist viel spannender, was die Besucher sich für eine Meinung gebildet haben. Richard Barbrook sagte in seinem Eröffnungsvortrag sinngemäß, die Stärke Kaliforniens sei es, von sich glaubhaft zu behaupten, „Wir sind die Zukunft“! Das ist eine sehr erfolgreiche Strategie, denn bis heute steht Kalifornien insbesondere im Rest der Welt für den Ort, an dem Fortschritt definiert wird! Wir in Europa sind skeptisch, weil wir uns in gewisser Weise abgehängt fühlen. Aber wir können Antworten auf die gesellschaftlichen Konsequenzen der Digitalisierung formulieren. Darin sind wir Europäer manchmal vielleicht etwas zu skeptisch, aber diese Skepsis kann sehr produktiv werden. Denn die Digitalisierung braucht Innovation und Spielregeln.

Auch auf Ihrem Symposium wurde eine Wertedebatte eingefordert. Wenn jedoch das Vertrauen in Politik und Medien immer mehr verloren geht, wo und von wem soll diese Debatte geführt werden außerhalb des „Inner Circles“?

Malte Spitz meinte hier gar nicht, dass diese Debatten nur in Medien und Politik geführt werden sollten. In der Zivilgesellschaft, in Foren und Theatern, auf Konferenzen wie diesem Symposium, auf Hackathons, in Schulen und Universitäten. Auch die Wirtschaft muss diese Frage ausloten, denn gerade der Datenschutz, der für uns Europäer einen sehr hohen Stellenwert hat, kann nicht nur bremsen, sondern neue Geschäftsfelder eröffnen. Aber natürlich gerade auch in Politik und Medien – der Vorwurf des Vertrauensverlustes hat mit diesem Anspruch nichts zu tun. 

Wie wird das Bucerius Lab das Thema fortführen?

Es wird eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Bausteine geben: Lectures, einzelne themenbezogene Projekte, Workshops und natürlich wieder größere Veranstaltungen auf Kampnagel. Das Bucerius Lab der ZEIT-Stiftung soll sowohl informieren und aufklären als auch in interaktiven Formaten den digitalen Wandel mit Experten und Bürgern ein Stück weiter denken – das ist unser Anspruch.

Herr Opper, vielen Dank für Ihre Antworten, wir freuen uns auf die nächsten Veranstaltungen: Am 09.05. „Mensch und Technik. Ein historisches Triple-A-Rating“ mit Andreas Rödder und am 25.05. „Wie Algorithmen das Recht und unsere Demokratie herausfordern“ mit Yvonne Hofstetter. Anmelden kann man sich direkt hier.

Liebe Leser, nehmt Euch die Zeit und lest am Wochenende die weiterführenden Links und schaut die Videos. Es lohnt sich.

Fotos: Christian Clawien

NEW-D Newsletter