Sie hassen diese Phrase wahrscheinlich. Aber er ist es wirklich. Einer dieser bunten Vögel. Dieser Dennis Horn.

In einem Organic-Food-Laden trafen wir uns, um über den Medienwandel zu sprechen. Herr Horn liebt den Hörfunk, kann aber auch Fernsehen und vor allem eines: Das Netz verstehen. Zeit, da mal genauer hinzuhören. 

Was macht ein „Nerd vom Dienst“, wenn er morgens aufsteht?

Normalerweise checke ich Twitter und meine Feeds darauf, was über die Nacht gelaufen ist. Das ist meine Morgenroutine. Manchmal ergibt sich daraus eine Berichterstattung. Da digitale Themen vor allem aus den USA in der Nacht kommen, ist das sehr wichtig für mich.

Woher kommt Ihre Affinität zu Netzthemen? Bei mir war es der 286er den ich zur Konfirmation bekommen habe und mit dem Highscreen Volksmodem an das Fidonet angeschlossen habe.

Mein Onkel hatte als einer der ersten einen IBM-kompatiblen PC, so hieß das damals. Ein 8086er ohne Festplatte, der das Betriebssystem von der Floppy-Disk geladen hat. Dann habe ich ausgemusterte 286er oder 386er von meiner Familie bekommen. So hat sich erst die Affinität zu Computern, später zu Netzthemen entwickelt.

Wie kamen Sie dann zum Journalismus?

Eigentlich wollte ich Programmierer werden. Damals lagen die ersten Modems in den Auslagen, so 95 oder 96. Denen lag damals eine CD mit Offline-Websites bei. Ich habe dann „Reverse Engineering“ gemacht, mir den HTML-Code angeguckt und darüber gelernt, die Seiten zu verändern. Eine Seite, die ich gemacht habe, war eine Fanwebsite für 1LIVE . Die haben mich dann eingeladen als „Hörer der Woche“. Das war für mich die Initialzündung dafür, wie interessant das Radiomachen ist.

Durch diese Website-Nummer war ich aber immer in dieser Nerd-Schablone. Ich habe dann bei NE-WS 89.4 volontiert. Dann kam der WDR, die Redaktionen wurden größer, aber das Netzthema ist immer geblieben.

2004 kam das Medienmagazin „Was mit Medien“ (dazu, das ich zusammen mit Daniel Fiene und Herrn Pähler mache. Die beiden haben die Sendung für das Campusradio in Münster radio q gegründet. DIE WELT hat uns eine Zeit lang für ihr Onlineangebot gekauft und vor vier Jahren hat das Deutschlandradio unsere Sendung übernommen. Daniel Fiene und ich sind Jugendfreunde und wir haben damals schon ein Onlineradio zusammen gemacht, als wir 16 Jahre alt waren. Das waren quasi Podcasts, da gab es den Begriff noch gar nicht.

Das wir Netzthemen lesen und diskutieren ist klar, aber erreichen Sie durch den WDR auch Leute, die sich damit wenig beschäftigen?

Du erreichst ein anderes Publikum als die klassische Netzgemeinde, und es ist uns wichtig, dass dieses Publikum auch von Netzthemen erfährt. Das ist ja ein Kerngedanke der Öffentlich-Rechtlichen: Es gibt dort Inhalte, die sich das Publikum wünscht und die wichtig sind, um Einschalt- und Nutzungszahlen zu haben, aber es gibt auch Themen, von denen wir möchten, dass das Publikum davon erfährt, die vielleicht ein bisschen sperriger sind – aber eben wichtig.

Du merkst schon, dass man z.B. im ARD-Morgenmagazin ein Publikum völlig außerhalb unserer Filterblase erreicht. Wir haben da auch Themen wie „Wie bestelle ich Fotobücher?“, also Serviceinhalte, ganz praktische Sachen. Ich mache außerdem Beiträge für die Servicezeit im WDR  und für das Schulfernsehen in der Reihe „Dennis Digital“. Das ist ein Service für Schulen, der auch aktiv an LehrerInnen vertrieben wird und die Medienbildung unterstützen soll.

Bekommen Sie da auch „unerwartetes“ Feedback?

Leute melden sich oft nur, wenn ihnen etwas nicht gefällt. Das ist bei Netzthemen häufig so. Ein großer Teil des Publikums steht Facebook und Google und der digitalen Entwicklung an sich sehr negativ gegenüber. Ich stoße da auch immer wieder auf Jünger von Manfred Spitzer 

Wie sieht es mit Schnittstellenthemen wie der Debatte um die WhatsApp-Datenübertragung an Facebook aus? Das interessiert doch vielleicht sowohl „Digital visitors“ als auch „Digital residents“.

Ja, bei solchen Themen versuche ich immer ein bisschen dem Dampf herauszulassen. Ich glaube, dass wir solche Diskussionen oft zu hysterisch führen und selten die Dimensionen ins Spiel kommen, warum manche Dinge auch sinnvoll sein können. Mich hat sehr gestört bei der „WhatsApp-Debatte“, dass viele Journalisten geschrieben haben, Facebook und WhatsApp hätten versprochen, diese Daten nicht weiterzugeben. Das stimmt nicht.

Was gesagt wurde, dass beide Unternehmen und Dienste weiterhin eigenständig geführt werden sollen und nicht fusionieren. Da wurde nicht korrekt berichtet. Es gibt auch gute Gründe, warum es sinnvoll sein könnte, warum Facebook deine Telefonnummer kennt, zum Beispiel die Zwei-Faktor-Authentifizierung. Ich kann den Unmut verstehen, dass Daten weitergegeben werden, finde aber, dass die andere Perspektive auch mit zur Betrachtung gehört.

Liefert Facebook in Deutschland denn die andere Perspektive?

Das Problem ist, dass man Facebook als Journalist zwar gut erreicht, aber man meistens nur fertig verfasste Statements bekommt. Die interessanten Informationen sind off-the-record. Das ist oft nicht zitierfähig. Interviews bekommt man auch eher selten. Es gibt ja oft diesen Vorwurf: das ist eine Kommunikationsfirma, aber die kommunizieren nicht. Diesen Vorwurf halte ich für nachvollziehbar. Vielleicht ist das aber auch nicht böswillig, sondern ein Konflikt zwischen Facebook Deutschland und der USA-Zentrale über die Art, wie Pressearbeit gemacht wird.

Kommen wir auf das Thema Medienwandel. Johnny Haeusler sagte letztens „Die Demokratie ist im Arsch“, weil die Medien so stark unter Druck sind. Man hat Google oder Facebook in der Mitte als Gatekeeper der Gatekeeper. Die kontrollieren den Zu- oder Abfluss von Klicks zu Onlinemedien und machen selbst damit Geld, aber die Inhalte, die für Engagement sorgen, kommen von den Verlagen. Wo sollte Journalismus heute stattfinden?

Was Johnny Haeusler anspricht, ist in der Tat ein Problem – und Medienhäuser tun aus meiner Sicht gut daran, ihre eigenen Angebote zu stärken. Gleichzeitig glaube ich nicht, dass es hilft, sich aus Facebook und Co. zu verabschieden, denn dort hält sich unser Publikum nun einmal auf. Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen, und das bedeutet, dass wir mit unseren journalistischen Inhalten auch die sozialen Medien füttern müssen.

Gleichzeitig glaube ich, dass der Debatte etwas Ausgeruhtheit gut tut. In den 20er Jahren schrieb der Zukunftsforscher Roy Amara: „Wir neigen dazu, die Auswirkungen einer Technologie kurzfristig zu überschätzen – und langfristig zu unterschätzen.“ Das ist wahr. Wir reden über das Printsterben. Wir reden darüber, dass das Fernsehpublikum ausstirbt. Wir reden dabei aber über Zeiträume von Jahrzehnten.

Es gibt eine Studie des Hessischen Rundfunks, die überprüft hat, ob das Argument von älteren Fernsehmachern stimmt, dass die „jungen Wilden“ irgendwann wieder ins lineare Fernsehen kommen werden, wenn sie einen Job haben und abends einfach mal vor der Glotze abschalten wollen. Die Medienforscher stellten fest, dass das nicht stimmt. Wie man im Medienkonsum sozialisiert wird, so trägt sich das auch in den kommenden Jahren weiter. Das Fernsehpublikum stirbt also weg, wird immer älter und irgendwann werden sich die Verbreitungskosten für einen Fernsehsender nicht mehr lohnen. Diese Entwicklungen – auch im digitalen Bereich– finden aber eben langsamer statt, als man denkt. 25 Millionen Facebook-Nutzer zum Beispiel bedeuten auch: 55 Millionen Menschen in Deutschland, die keine Facebook-Nutzer sind.

Aber ist es nicht komisch, dass wir mit Gebührengeldern Inhalte und Formate finanzieren, die dann auf Plattformen wie Snapchat für Attraktivität, neue User und längere Verweildauern sorgen und man damit quasi indirekte Monetarisierungshilfe für die Betreiber leistet?

Wir sind da einfach in einer neuen Zeit unterwegs. Gatekeeper oder „Intermediäre“ wie Facebook und Google hat es vorher noch nicht gegeben. Wir haben Kommunikationswege die in der Hand einzelner Firmen sind. Gleichzeitig hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk einen von der Politik gegebenen Auftrag. In diesem Auftrag steht die Formulierung, dass wir „möglichst viele Menschen zu erreichen“ haben. Mit unseren Inhalten in die sozialen Netzwerke zu gehen, kann man also ganz einfach als Erfüllung dieses Auftrags sehen – zumal unsere Inhalte ja schon durch die Beitragszahler finanziert werden.

Problematisch wird es nur, wenn wir uns komplett dem Konzept „Homeless Media“ hingeben, also wenn du anfängst, dein Kernprogramm zu vernachlässigen und nur noch für soziale Netzwerke zu produzieren. Das halte ich für fatal. Man sieht ja auch bei Angeboten wie „Zeit Online“, dass es gelingen kann, ein starkes Kernangebot als Website zu haben, das durch Social mitgespeist wird.

Wie ist Ihre Meinung zu Trends, die aus dem englischsprachigen Raum kommen wie Clickbait-Headlines à la „Wir haben diesen Wasserkocher getestet und das Ergebnis wird Sie umhauen“. Müssen wir immer nachmachen statt eigene Ideen zu finden, um neugieriger auf Inhalte zu machen? 

Ich glaube, dass diese Überschriften überleben werden. Das ist eine Pendelbewegung, die man immer hat, das geht erst in eine Richtung sehr stark und schwingt wieder zurück. Dann schaut man, was man an Erfahrungswerten da rausziehen kann. Ich glaube, dass es Formen gibt, die man auch in einem seriösen Kontext einsetzen kann. Beispiel Verbraucherjournalismus: „5 Tipps wie Sie Ihr Vogelhäuschen bauen.“ Beispiel Tagesschau: „Die häufigsten Fragen und Antworten zum Thema xyz.“ oder „Das bedeutet der Brexit“. Solche Hypes gibt es immer wieder – und am Ende schaut man einfach, was man daraus mitnehmen kann.

Es gibt ja auch dieses Format „Was wir wissen, was wir nicht wissen“ was in extrem schnellen Lagen wie Terror oder Amok eingesetzt wird. Die Geschwindigkeit von Social Media hat die Onlinemedien überholt. Kann man das einfangen oder katalysieren? Was gibt es für Ideen, wie man über das Internet berichten kann, ohne über das Internet zu berichten?

Das ist ein großes Problem. Was Sie beschreiben, ist, dass einerseits die Medien in Versuchung geraten in so einem Moment und andererseits das Publikum die Erwartungshaltung entwickelt hat, zuverlässige Informationen schon im Moment des Geschehens zu erhalten. Am besten direkt mit einer Einordnung und den Reaktionen dazu. Das geht natürlich nicht. Journalismus setzt voraus, dass man erst einmal recherchiert und verifiziert, bevor man Informationen veröffentlicht.

Dieses „Was wir wissen und was nicht“ ist eine Darstellungsform, diesem Problem entgegenzuwirken und die journalistische Arbeit besser zu erklären. Ich habe eh das Gefühl, dass die Notwendigkeit für einen großen Meta-Anteil im Journalismus stärker wird. Dass man erklärt, warum man etwas macht, wie Recherchewege zustande kommen, warum es oft länger braucht, bis man etwas zuverlässig weiß. Auf der einen Seite ist dieser Meta-Anteil wichtig, auf der anderen Seite sind die Redaktionen jetzt schon am Anschlag. Ich habe Sorge, dass der Anteil der klassischen journalistischen Arbeit durch diese Meta-Aufgaben nochmal zurückgeht. Man merkt das jetzt schon: Wir sind ständig damit beschäftigt, Gerüchte zu widerlegen und zu sagen, was nicht stimmt, als darüber zu berichten, was stimmt.

Ist es besser, wenn der Redakteur diese Meta-Anteile übernimmt oder wenn diese an ein „Audience engagement“-Team ausgelagert werden? Wenn man es trennt, wissen die nicht viel über das Thema und wie es entstanden ist, wenn man es auf den Redakteur schiebt, hat der noch mehr zu tun.

Ich halte die „Audience Engagement“-Teams für eine gute Einrichtung. Die sitzen in der Redaktion, sind selbst Journalisten und wissen, wie Themen zustande kommen. D.h. die können auf Vorwürfe ganz anders eingehen als zum Beispiel klassische Callcenter, wie wir sie bei den Fernseh- und Radiosendern der öffentlich-rechtlichen Anstalten haben. Audience-Engagement-Teams können einen schnellen Kontakt zum kritisierten Redakteur herstellen und deshalb auch schnell und gut auf Fragen und Vorwürfe des Publikums antworten. Deshalb halte ich eine Trennung für legitim. Redakteure selbst können diesen Meta-Anteil aus meiner Sicht nicht unbegrenzt mit übernehmen – auch wenn es für mich heute zum Handwerkszeug dazugehört, mit dem Publikum in direkten Kontakt zu treten.

Ihre Meinung zum neuen öffentlich-rechtlichen Angebot für Jugendliche „Funk“?

Natürlich bin ich befangen, aber ich halte die strategische Entscheidung für 100% Digital und Social für komplett richtig. Wenn ich mir die Reichweiten zum Beispiel vom „Bohemian Browserballett“ angucke, dann glaube ich, dass die auf dem richtigen Weg sind. Und auch, wenn Reichweiten speziellerer Formate klein sind: Im Fernsehen und im Radio gibt es auch Formate und Sendungen, die kaum einer schaut oder anhört. Die werden auch nicht zwingend abgesetzt. Das ist die ewig gleiche Diskussion, mit der sich öffentlich-rechtliche Angebote auseinandersetzen müssen: Da wird gefordert, Inhalte herzustellen, die sich für Privatsender nicht lohnen, also die Lücke zu füllen, die das Privatfernsehen hinterlässt. Erreicht der öffentlich-rechtliche Rundfunk damit aber keine Menschen, kommt die Frage auf, wofür wir ihn denn überhaupt brauchen, wenn ihn keiner guckt oder hört oder nutzt. Die Wahrheit liegt also irgendwo dazwischen.

Herr Horn, vielen Dank für das Gespräch! 

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Foto: Paul Ripke